Außerordentliche Kündigung bei Beleidigung in einer Chatgruppe
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 24. August 2023, Az.: 2 AZR 17/23, entschieden, dass eine außerordentliche Kündigung bei Beleidigung in einer Chatgruppe gerechtfertigt sein kann. Arbeitnehmer:innen, die sich in einer privaten Chatgruppe in beleidigender, rassistischer, sexistischer und zu Gewalt aufstachelnder Weise über Vorgesetzte und andere Kolleg:innen äußern, können sich nur im Ausnahmefall auf eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung berufen.
Zum Sachverhalt
Der Kläger war Mitglied einer Chatgruppe von Kolleg:innen. Diese Chatgruppe bestand seit 2014 aus sechs Mitgliedern; 2020 kam ein siebtes Mitglied dazu. Alle Mitglieder dieser Chatgruppe sind langjährig befreundet und zwei der Mitglieder zudem miteinander verwandt.
Inhalt der in der Chatgruppe ausgetauschten Nachrichten waren private Themen. Allerdings wurden ebenfalls beleidigende, rassistische, sexistische und zu Gewalt aufstachelnde Äußerungen ausgetauscht. Ein Mitglied der Chatgruppe zeigte den Nachrichtenverlauf einem anderen Kollegen, woraufhin dieser den Betriebsrat und den Arbeitgeber informierte. Der Arbeitgeber kündigte infolgedessen das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos.
Der Kläger klagte gegen diese Kündigung. Die Kündigungsschutzklage war in erster Instanz vor dem ArbG Hannover und in zweiter Instanz vor dem LAG Niedersachsen erfolgreich. Das LAG Niedersachsen begründete seine Entscheidung insbesondere damit, dass der Kläger davon ausgehen durfte, der Inhalt der Chatgruppe werde vertraulich behandelt. Demnach sei die außerordentliche Kündigung unwirksam.
BAG: Außerordentliche Kündigung bei Beleidigung in einer Chatgruppe nur ausnahmsweise unwirksam
Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Das BAG hob das Urteil auf und verwies die Sache zurück an das LAG Niedersachsen.
Das BAG entschied, dass das LAG Niedersachsen die Vertraulichkeitserwartung des Klägers rechtsfehlerhaft als berechtigt gewertet habe. Eine derartige Vertraulichkeitserwartung sei nämlich nur dann berechtigt, wenn die Mitglieder der Chatgruppe den besonderen Schutz der vertraulichen Kommunikation in Anspruch nehmen können. Bei beleidigenden und menschenverachtenden Äußerungen müsse besonders dargelegt werden, warum der Arbeitnehmer berechtigt erwarten könne, der Inhalt werde von keinem Gruppenmitglied an einen Dritten weitergegeben.
Das BAG verlangt, dass der Kläger dieser besonderen Darlegungslast nachkommt. Der Kläger muss nun ausführen, warum er angesichts der Größe der Chatgruppe, ihrer geänderten Zusammensetzung, der unterschiedlichen Beteiligung der Gruppenmitglieder an den Chats und der Nutzung eines auf schnelle Weiterleitung von Äußerungen angelegten Mediums eine berechtigte Vertraulichkeitserwartung haben durfte.
Ausblick
Das Urteil macht einen Konflikt des Arbeitgebers deutlich. Zum einen muss er die vertrauliche Kommunikation seiner Arbeitnehmer:innen respektieren, aber zum anderen auch seiner Schutzpflicht nachkommen. Sind andere Kolleg:innen von den rassistischen und sexistischen Äußerungen betroffen, ist der Arbeitgeber insbesondere nach § 12 AGG verpflichtet, seine Beschäftigten vor derartigen Diskriminierungen zu schützen.
Es ist zu erwarten, dass das BAG in den – bislang noch nicht veröffentlichten – Entscheidungsgründen eine hilfreiche Konkretisierung trifft, wann eine Kommunikation vertraulich ist und wann der Arbeitgeber berechtigt ist, Maßnahmen zu ergreifen. Insbesondere ist diese Frage in Hinblick auf WhatsApp-Chatgruppen bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden. Angesichts der Verbreitung des Austauschs mit Kolleg:innen über derartige Medien ist das Urteil des BAG von hoher Relevanz.