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Ein neues Vertragsrecht für die Bereitstellung digitaler Produkte

von am 4. Dezember 2020

Die Richtlinie (EU) 2019/770 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen steht zur Umsetzung an. Die Richtlinie macht den Mitgliedstaaten eine Reihe von Vorgaben für Verbraucherverträge, die sich auf die Bereitstellung digitaler Produkte beziehen.

Die Richtlinie strebt ausdrücklich eine Vollharmonisierung an. Spielräume verbleiben den Mitgliedstaaten somit nur für Fragen, die die Richtlinie nicht regelt ‒ etwa das Zustandekommen des Vertrages. Die vertraglichen Leistungspflichten und die Rechte des Verbrauchers bei nicht vertragsgemäßer Leistung werden dagegen fast vollständig geregelt.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat am 3. November 2020 einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie veröffentlicht. Die Mitgliedstaaten müssen die Richtlinie bis zum 1. Juli 2021 umsetzen. In Kraft treten sollen die neuen Regelungen dann zum 1. Januar 2022.

Worum geht es?

Bereitstellung digitaler Produkte

Digitale Inhalte definiert die Richtlinie als „Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden“, etwa Bilder, Musik, Film, E-Books oder Software. Auch körperliche Datenträger sind erfasst, wenn sie ausschließlich als Träger digitaler Inhalte dienen, beispielsweise eine Musik-CD.

Nicht betroffen sind dagegen digitale Inhalte oder Dienstleistungen, die in Waren enthalten oder damit verbunden sind. Eine Smartwatch oder ein Staubsaugerroboter mit App-Steuerung fällt daher nicht in den Anwendungsbereich der neuen Regelungen.

Als digitale Dienstleistungen nennt die Richtlinie zwei Bereiche, wobei es auf eine Abgrenzung nicht ankommt.

  • Die „Erstellung, Verarbeitung oder Speicherung von Daten in digitaler Form oder den Zugang zu solchen Daten“ erfasst etwa Cloud-Speicherplatz, Webhosting, Online-Spiele, Software-as-a-Service.
  • „Dienstleistungen, die die gemeinsame Nutzung der vom Verbraucher oder von anderen Nutzern der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladenen oder erstellten Daten oder sonstige Interaktionen mit diesen Daten ermöglichen“ zielt auf Plattformen für nutzergenerierte Inhalte, Bewertungsplattformen und soziale Medien ab.

Im Gegensatz zur Richtlinie führt der Referentenentwurf „digitale Produkte“ als Oberbegriff ein. Digitale Inhalte und Dienstleistungen müssen dadurch nicht immer nebeneinander genannt werden.

Verbraucherverträge

Die Richtline erfasst nur Verträge zwischen Unternehmern und Verbrauchern. B2B-Verträge über Softwareentwicklung, die Produktion von Musik oder Film, den Zugang zu Datenbanken etc. sind nicht betroffen. Hier bleibt alles beim Alten.

Wie auch sonst im deutschen Verbraucherschutzrecht geht der deutsche Gesetzgeber über die Vorgaben des Europarechts hinaus. Der Verbraucherbegriff nach § 13 BGB erfasst nicht nur Privatpersonen, sondern auch Arbeitnehmer: Nur wer für Zwecke einer selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt, ist kein Verbraucher. Auch digitale Inhalte wie Fachliteratur oder Dienstleistungen im Bereich der Weiterbildung sind daher von den neuen Vorschriften betroffen.

Zu den erfassten Verträgen gehören auch solche, bei denen der Verbraucher statt mit Geld (oder einem Gutschein) mit seinen personenbezogenen Daten „bezahlt“, sofern diese Daten nicht für die Erbringung der Dienstleistung erforderlich sind. Auch kostenlose Angebote können daher in den Anwendungsbereich fallen, vor allem soziale Netzwerke.

Umsetzung im BGB

Die Begründung des Referentenentwurfs verweist darauf, dass die Richtlinie Leistungen umfasst, die je nach der Art der Leistung im deutschen Recht verschiedenen Vertragstypen zuzuordnen sind, nämlich Kauf, Miete usw. Die Richtlinie unterscheidet dagegen nur nach dem Gegenstand der Leistung, nämlich digitaler Inhalt oder digitale Dienstleistung. Die neu zu schaffenden Regelungen lägen somit „quer“ zur Systematik des BGB.

Die Entwurfsverfasser haben sich daher entschieden, im Allgemeinen Teil des Schuldrechts einen neuen Titel einzufügen, der die vertraglichen Pflichten und die Folgen von Leistungsstörungen im Zusammenhang mit digitalen Produkten geschlossen regelt. Er soll an der Stelle des 2002 mit der Schuldrechtsreform freigeworden § 327 BGB eingefügt werden.

Im Besonderen Teil des Schuldrechts wird dann jeweils auf die abweichenden neuen Regelungen verwiesen, zum Beispiel bei den Mängelrechten des Käufers, wenn die Kaufsache ein digitaler Inhalt ist.

Die neuen Regeln

Bereitstellung digitaler Produkte und Vertragsgemäßheit

Die Regeln zur „Bereitstellung“ digitaler Produkte entsprechen weitgehend dem, was auch sonst bei verspäteter Leistung gilt: Der Verbraucher hat das Recht zur Beendigung des Vertrages, in der Regel erst nach Setzen einer Nachfrist.

„Vertragsgemäß“ bedeutet, dass Produkt frei von Rechtsmängeln und Produktmängeln ist. Die zu stellenden Anforderungen werden subjektiv durch das bestimmt, was die Parteien vereinbart haben, und objektiv durch die übliche Eignung und Beschaffenheit. Für die objektive Vertragsgemäßheit sind auch öffentliche Aussagen des Herstellers oder Anbieters relevant.

Zur Vertragsgemäßheit gehört, dass auch Zubehör, Anleitungen und Kundendienst vertragsgemäß sind. Ferner muss das Produkt den Anforderungen an die Integration entsprechen: Eine Software muss sich in der vorgesehenen Systemumgebung installieren und nutzen lassen.

Aktualisierungen

Neu und spezifisch für digitale Produkte ist, dass auch Aktualisierungen bereitgestellt werden müssen, um die Vertragsgemäßheit zu erhalten. Das betrifft insbesondere Sicherheitsupdates.

Bei einer dauerhaften Bereitstellung, etwa beim Abonnement einer Software, gilt das naturgemäß für die gesamte Vertragslaufzeit.

Bei der einmaligen Bereitstellung gilt die Pflicht für den „Zeitraum, den der Verbraucher aufgrund der Art und des Zwecks des digitalen Produkts und unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrags erwarten kann“, etwa beim Kauf einer Software. Über den danach maßgeblichen Zeitraum wird man im konkreten Fall trefflich streiten können.

Spezielles Gewährleistungsrecht

Die Rechte, die der Verbraucher bei Mängeln hat, ähneln wiederum dem, was aus dem allgemeinen Schuldrecht und dem Gewährleistungsrecht vor allem beim Kaufvertrag bekannt ist: Je nach dem Umständen kann der Verbraucher Nacherfüllung verlangen, mindern oder sich vom Vertrag lösen. Für Schadensersatzansprüche macht die Richtlinie keine Vorgaben. Der Referentenentwurf beschränkt sich darauf, hierfür auf die allgemeinen Regeln zu verweisen.

Im Fall der Vertragsbeendigung erlischt der Zahlungsanspruch, gegebenenfalls kann der Verbraucher eine Rückerstattung verlangen. Hier gibt es eine markante Abweichung von den sonst geltenden Regeln im Mietrecht: Wurde ein Produkt für einen längeren Zeitraum zur Verfügung gestellt (etwa eine Streaming-Flatrate oder die Nutzung einer Plattform), dann reduziert sich der Zahlungsanspruch nicht nur entsprechend dem Minderwert der mangelhaften Leistung. Für Zeiträume, in denen das Produkt nicht vertragsgemäß war, kann der Verbraucher das darauf entfallende Entgelt vollständig zurückfordern.

Nachvertragliche Rechte und Pflichten

Dass der Verbraucher das digitale Produkt nach Vertragsbeendigung nicht mehr nutzen darf, spricht nur eine Selbstverständlichkeit aus. In bestimmten Fällen darf der Anbieter die bereitgestellten oder erstellten Inhalte weiternutzen, vor allem solche, die der Verbraucher gemeinsam mit anderen erzeugt hat, sofern andere Verbraucher die Inhalte weiter nutzen können. Als Beispiel nennt der Referentenentwurf eine Spiellandschaft, die die Nutzer eines Online-Computerspiels gemeinsam erstellt haben.

Neu ist der Anspruch des Verbrauchers, in bestimmten Fällen eine Kopie der bereitgestellten oder erzeugten digitalen Inhalte zu erhalten. Soweit es sich um personenbezogene Daten handelt, besteht stattdessen der ‒ sehr ähnliche ‒ Anspruch auf Datenübertragbarkeit nach Art. 20 DSGVO.

Wann der Anspruch auf Datenkopie besteht, ist leider nur sehr abstrakt und vage geregelt. Vor allem ist unklar, wie lange der Anbieter die Daten aufbewahren muss. Der Referentenentwurf spricht von einer „angemessenen Frist“, gibt aber keinen Anhaltspunkt dafür, wie die Angemessenheit zu bestimmen sein soll.

Änderungen an digitalen Produkten

Will der Anbieter Änderungen vornehmen, die über das hinausgehen, was für den Erhalt der Vertragsgemäßheit erforderlich ist (also das Beseitigen von Fehlern oder das Schließen von Sicherheitslücken), bestehen künftig besondere Voraussetzungen: Die Möglichkeit der Änderung muss „bei Vorliegen eines triftigen Grundes“ vertraglich vorgesehen sein, darf keine zusätzlichen Kosten verursachen und der Verbraucher muss klar und verständlich informiert werden.

Beeinträchtigt eine Änderung die Zugriffsmöglichkeit oder die Nutzbarkeit des Produkts, muss der Anbieter den Verbraucher rechtzeitig vorab informieren. Er muss dabei auch auf das gesetzlich geregelte neue Sonderkündigungsrecht hinweisen: Kann der Verbraucher das Produkt nicht alternativ in der bisherigen Form ohne zusätzliche Kosten weiterhin nutzen, kann er den Vertrag innerhalb von 30 Tagen beenden.

Hinweise für die Praxis

Für die Vertragsgestaltung relevante Neuerungen

Abgesehen davon, dass sich Anbieter digitaler Produkte über die neuen Rechte der Verbraucher im Klaren sein müssen, müssen sie vor allem bei der Vertragsgestaltung zusätzliche Vorgaben beachten.

Änderungsvorbehalte in AGB sind nicht mehr nur an § 308 Nr. 4 BGB zu messen, sondern an oben genannten strengeren Anforderungen.

Wie bei den meisten Verbraucherschutzvorschriften gilt auch für die neuen Regelungen für digitale Produkte im Grundsatz, dass zum Nachteil des Verbrauchers nicht vertraglich davon abgewichen werden kann.

Nur beschränkt sind vertragliche Regelungen zu Lasten des Verbrauchers möglich:

  • Bei einer nachteiligen Abweichung des Produkts von der objektiven Vertragsgemäßheit muss der Anbieter den Verbraucher vor Aufgabe der Bestellung „eigens“ davon in Kenntnis setzen und die Abweichung muss „ausdrücklich und gesondert“ vereinbart werden. In der Produktbeschreibung oder in AGB festzuhalten, dass eine Software nicht den üblichem Funktionsumfang hat oder keine Updates bereitgestellt werden, genügt also nicht. Im Bestellvorgang im Onlineshop sollte dafür eine eigene Checkbox verwendet werden.
  • Bei nachteiligen Änderungen an digitalen Produkten ist eine abweichende Vereinbarung erst zulässig, nachdem der Verbraucher über die Änderung und seine Rechte informiert wurde.

Fazit

Auf Anbieter digitaler Inhalte und Betreiber von Online-Plattformen kommt einiges an neuen Pflichten zu. Auch die bestehenden AGB müssen angepasst werden.

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