„Blauer Brief“ aus Brüssel: „Hinweisgeber-Schutzgesetz“ weiterhin verspätet

von am 24. März 2022

Kaum ein EU-Mitglied hat seine Hausaufgaben erledigt: Die sogenannte „Whistleblower-Richtlinie“, die es Mitarbeitern ermöglichen soll, im geschützten Rahmen unlautere Machenschaften ihrer Arbeitgeber aufzudecken, wartet auch in Deutschland weiterhin auf Umsetzung. Die EU-Kommission hat nun deswegen gegen die Bundesrepublik ein Verletzungsverfahren eröffnet. Wir erklären die aktuelle Situation und welche Vorbereitung jetzt sinnvoll ist.

 

Was ist (nicht) passiert?

Europäische Rechtssetzung kann in unterschiedlichen Formen erfolgen. Eine davon ist das Mittel der „Richtlinie“, die, anders als zum Beispiel eine „Verordnung“, nicht unmittelbare Wirkung entfaltet. Eine solche EU-Richtlinie muss zunächst durch nationale Rechtsakte von den Mitgliedsstaaten in unmittelbar wirksames Recht umgesetzt werden. Hierfür werden Umsetzungsfristen vorgegeben und es ist (natürlich) gang und gäbe, dass Mitgliedsstaaten diese Fristen manchmal nicht einhalten. Dass aber gleich 24 Mitgliedsstaaten eine Umsetzungsfrist nicht einhalten, ist dann doch ungewöhnlich.

 

Auch Deutschland bekommt „blauen Brief“

So ist aber die aktuelle Situation der sogenannten „Whistleblower-Richtlinie“ (Richtlinie (EU) 2019/1937): Sie wurde am 23. Oktober 2019 erlassen, mit dem Auftrag an die Mitgliedsstaaten, sie bis zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht umzusetzen. Dieser Umsetzungsfrist sind 24 Mitgliedsstaaten nicht nachgekommen, weswegen die EU-Kommission Ende Januar 2022 Verletzungsverfahren gegen alle diese Mitgliedsstaaten eröffnet hat. Darunter befindet sich auch Deutschland, da sich die im September 2021 vom der Ampel-Koalition abgelöste Bundesregierung nicht auf einen Entwurf für das geplante „Hinweisgeber-Schutzgesetz“ verständigen konnte.

 

Worum geht es in der „Whistleblower-Richtlinie“?

Vermutlich hat jeder die Namen Edward Snowden und Chelsea Manning schon einmal gehört. Beide haben illegale Machenschaften ihrer Arbeitgeber publik gemacht. Auch in Deutschland werden immer wieder Missstände in Unternehmen publik: Skandale, wie die Geschehnisse um Tönnies oder die Manipulationen von Diesel-Motoren bei Volkswagen, können für die Unternehmen nicht nur große, nachhaltige Reputationsschäden, sondern auch direkte, harte finanzielle Konsequenzen zur Folge haben.

Es ist sicherlich die große Ausnahme, dass Unternehmer und Führungskräfte sich über Recht und Gesetz hinwegsetzen. Wenn sie dies aber doch tun, sollen Mitarbeiter die Möglichkeit haben, bedenkliche Umstände – die nicht selten auf die Mitarbeiter selbst zurückfallen und sie zu Mittätern machen – melden zu können. Und zwar ohne das die Mitarbeiter das Risiko eingehen, Repressalien, arbeitsrechtlichen Konsequenzen oder anderen Einschüchterungs- und Vertuschungsversuchen ausgesetzt zu werden. Ziel der „Whistleblower-Richtlinie“ ist es also, solchen Hinweisgebern einen rechtlich verankerten, verlässlichen Schutz zu bieten.

 

Welche Folge hat das Verletzungsverfahren für deutsche Unternehmen?

Direkte Auswirkungen für deutsche Unternehmen hat das von der EU-Kommission gegen Deutschland eröffnete Verfahren nicht. Es wirkt zunächst nur zwischen der EU und den beteiligten Mitgliedsstaaten und hat – um eine sehr komplexe Rechtslage stark verkürzt darzustellen – nicht zur Folge, dass der Richtlinie nun eine unmittelbare Geltung zukommen würde. Hierzu bedarf es weiterhin der von der EU-Kommission mit den Verletzungsverfahren angemahnten Umsetzung durch ein nationales Gesetz. Wann dieses kommen wir ist ungewiss: das Bundesjustizministerium schweigt sich dazu aus, obwohl dem Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition ein klares Bekenntnis zur Umsetzung zu entnehmen ist.

Es bleibt also dabei: Unternehmen müssen sich darauf gefasst machen, dass eine Umsetzung der „Whistleblower-Richtlinie“ in naher Zukunft erfolgen wird. Wie die Umsetzung in Form des kommenden deutschen „Hinweisgeber-Schutzgesetzes“ aber konkret aussehen wird, ist zum heutigen Tage offen. Damit bleibt vor allem auch unklar, welche konkreten Handlungspflichten sich aus diesem Gesetz ergeben werden.

 

Wie können sich deutsche Unternehmen auf das „Hinweisgeber-Schutzgesetz“ vorbereiten?

Die „Whistleblower-Richtlinie“ enthält, wie der Name schon sagt, lediglich eher grobe Leitlinien, wie Hinweisgeber zu schützen sind und welche Mechanismen für eine Meldung von Hinweisen vorgehalten werden müssen. Gesichert ist also das „ob“, also dass Unternehmen Maßnahmen werden treffen müssen. Das „wie“, also welche Maßnahmen das konkret sind, wird erst mit Verabschiedung des Gesetzes klargestellt sein.

Das bedeutet jedoch nicht, dass nicht jetzt schon Vorbereitungsmaßnahmen getroffen werden können. Im Gegenteil können Organisationen die Zeit bis zum Wirksamwerden des „Hinweisgeber-Schutzgesetzes“ sinnvoll nutzen, insbesondere um die existierenden Compliance-Strukturen zu evaluieren und in Ruhe zu überdenken, wie und in welcher Form zukünftige, neue Pflichten darin sinnvoll integriert, umgesetzt und wirksam in das Unternehmen kommuniziert werden können. Sinnvollerweise sollte in die Planungen ein eventuell bestehender Betriebsrat einbezogen werden.

 

Welche Eckpunkte der Richtlinie können deutsche Unternehmen bei der Vorbereitung schon jetzt berücksichtigen?

Die „Whistleblower-Richtlinie“ bringt Pflichten jedenfalls für alle Unternehmen, die mehr als 50 Arbeitnehmer beschäftigen. Ausnahmen von dieser Zahl (sowohl nach oben als auch nach unten) sind möglich.

Die betroffenen Unternehmen werden ein „internes Meldeverfahren“ einrichten müssen. Die Meldung von tatsächlichen, potenziellen (auch mutmaßlichen) Rechtsverstößen muss dem „Hinweisgeber“ durch „Meldekanäle“ ermöglicht werden. Diese müssen eine Meldung in „schriftlicher oder mündlicher Form, bzw. in beiden Formen“ ermöglichen. Auf Wunsch der hinweisgebenden Person muss aber auch eine „physische Zusammenkunft“, also ein persönliches Gespräch angeboten werden. Um diese Anforderungen zu erfüllen, kommen folgende Möglichkeiten in Betracht:

  • Einrichtung einer telefonischen Hotline
  • Einrichtung spezifischer Adressen für Hinweise über E-Mails und Postbriefe
  • Benennung einer Ombudsperson als Ansprechpartner für persönliche Gespräche
  • Digitale Lösungen, wie zum Beispiel die Einrichtung eines spezifischen Portals.

Alle „Meldekanäle“ müssen nicht zwingend intern durch das Unternehmen selbst betrieben werden, sie können auch von externen Dienstleistern bereitgestellt werden. Das Team von Lausen Rechtsanwälte unterstützt seine Mandanten auch bei der Erfüllung dieser Aufgaben gerne tatkräftig.

Um sachgerecht auf eine Meldung reagieren und diese rechtmäßig betreuen zu können, muss jedes Unternehmen eine unparteiische Person benennen. Diese soll der meldenden Person als Kontakt und Ansprechpartner dienen.

Wichtig, und absoluter Kern der kommenden Gesetzgebung: bei allen diesen Maßnahmen muss zu jeder Zeit die Vertraulichkeit und der Schutz der meldenden Person garantiert sein! Die Richtlinie verlangt von den Mitgliedsstaaten, im Rahmen der Umsetzung „wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen“ für Zuwiderhandlungen vorzusehen – was zumindest empfindlich hohe Bußgeldrahmen erwarten lässt. Ebenso muss im Blick gehalten werden, dass alle Pflichten des Datenschutzrechts und insbesondere der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) uneingeschränkt fortbestehen. Auch die DSGVO sieht bekanntermaßen „wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen“ bei Zuwiderhandlungen vor. Und da die Bearbeitung von „Whistleblowing“-Hinweisen jedenfalls auch die Verarbeitung von personenbezogenen Daten umfassen wird, gilt es, bei der Planung aller kommenden Maßnahmen unbedingt die Regeln der DSGVO im Blick zu behalten.

 

Ausblick

Im März 2022 muss man konstatieren, dass die aktuelle Situation unbefriedigend ist: Es besteht kein Zweifel daran, dass die „Whistleblower-Richtlinie“ in absehbarer Zukunft in deutsches Recht umgesetzt werden wird. Wie diese Umsetzung aber genau aussehen und welche konkreten Maßnahmen die Umsetzung den Unternehmen abverlangen wird, ist leider ungewiss.

Unternehmen können gleichwohl die bis zum Inkrafttreten des deutschen „Hinweisgeber-Schutzgesetzes“ noch verstreichende Zeit sinnvoll nutzen: Zunächst sollten die bestehenden Compliance-Strukturen evaluiert werden. Danach kann geprüft werden, wie die dargestellten, bereits bekannten und jedenfalls kommenden Anforderungen in diese Strukturen sinnvoll eingefügt werden können und gegebenenfalls Vorbereitungen getroffen werden.

Wir werden das laufende Gesetzgebungsverfahren weiterhin aufmerksam verfolgen. Selbstverständlich bieten wir schon jetzt individuelle Unterstützung bei vorbereitenden Maßnahmen.

Share this