Darstellung realer Begebenheiten im Film

von am 4. Februar 2020

Bei der Produktion von Filmen, die sich an tatsächlichen Begebenheiten orientieren, besteht regelmäßig ein Spannungsverhältnis zwischen der Kunstfreiheit des Filmproduzenten bzw. des Ausstrahlenden und dem Persönlichkeitsrecht der im Film dargestellten Personen. Das OLG Hamburg hatte jüngst über einen besonders krassen Fall zu entscheiden: Der streitgegenständliche Film beschäftigte sich mit sexuellem Missbrauch von Schülern (Urteil vom 1. Oktober 2019 – 7 U 141/16).

Der Sachverhalt

Am 1. Oktober 2014 strahlte die ARD den Spielfilm „Die Auserwählten“ aus. Der Spielfilm thematisierte den sexuellen Missbrauch von Schülern durch ihre Lehrer an der Odenwaldschule in den 1980er Jahren. Dargestellt wurde unter anderem der sexuelle Missbrauch des Schülers Frank Hoffmann, gespielt von Leon Seidel, durch den Schulleiter Simon Pistorius, gespielt von Ulrich Tukur.

Der Kläger ging nach Ausstrahlung gegen den Spielfilm vor. Der Kläger war selbst Schüler an der Odenwaldschule und dort sexuell missbraucht worden. Er sah durch den Spielfilm sein Recht am eigenen Bild und sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzt. Es sei für den Zuschauer erkennbar, dass er das in dem Spielfilm dargestellte Missbrauchsopfer sei. Außerdem beinhalte der Film mit der den Schülern helfenden Biologielehrerin eine Figur, die es in der Realität nicht gegeben habe. Er habe dem Regisseur mitgeteilt, dass er mit dem Spielfilm nicht einverstanden sei.

Bereits im Jahr 2011 hatte der Kläger die Geschehnisse an der Odenwaldschule in einem Interview für einen Dokumentarfilm auf 3sat und in einem Buch jeweils unter Pseudonym an die Öffentlichkeit gebracht. Dieses Pseudonym hat der Kläger im Jahr 2012 bei der Verleihung des Geschwister-Scholl-Preises aufgeben und seine Identität preisgegeben.

Die Entscheidung

Das OLG Hamburg wies die Klage ab.

Es liege keine Verletzung des Rechts am eigenen Bild vor. Es handle sich erkennbar um einen Spielfilm, der keine Originalaufnahmen von den Vorgängen an der Odenwaldschule zeige. Darstellungen von Schauspielern seien regelmäßig als Bildnis des jeweiligen Schauspielers anzusehen.

Es liege im Ergebnis auch keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor. Zwar bestehe eine individuelle Betroffenheit des Klägers. Dieser sei als Vorlage für das im Spielfilm dargestellte Missbrauchsopfer zu erkennen. Die Erkennbarkeit genüge zur Verletzung des Persönlichkeitsrechts aber noch nicht. Vielmehr müssten bestimmte Teile der Schilderung des Spielfilms eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts darstellen.

Die Einführung der fiktiven Figur der Biologielehrerin stelle keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers dar. Die Figur wirke sich nicht abträglich auf das Ansehen des Klägers aus.

Auch die Darstellung der sexuellen Übergriffe durch den Schulleiter stelle keine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers dar. Zwar könne dies die besonders geschützte Intimsphäre des Klägers beeinträchtigen, wenn die geschilderte Handlung als Berichte über tatsächliche Ereignisse begriffen werde. Dies liege im vorliegenden Fall nahe. Allerdings müsse die Selbstöffnung des Klägers berücksichtigt werden. Der Schutz der Intimsphäre könne dort entfallen, wo sich der Betroffene damit einverstanden gezeigt habe, dass bestimmte private Angelegenheiten öffentlich gemacht werden. Vorliegend habe der Kläger selbst die Geschehnisse an der Odenwaldschule im Jahr 2011 detailliert an die Öffentlichkeit gebracht. Sein zwischenzeitlich bestehendes Pseudonym habe er aufgegeben. Daher habe der Kläger „in besonderem Maße eine mediale Behandlung der Vorgänge hinzunehmen“.

Auswirkungen für die Praxis

Das OLG Hamburg betont in Übereinstimmung mit dem LG Hamburg als Vorinstanz die Wichtigkeit der Abwägung der beteiligten Interessen (Kunstfreiheit und allgemeines Persönlichkeitsrecht). Um dieser Abwägung aus dem Weg zu gehen, ist häufig in Produktionen ein Disclaimer am Anfang zu lesen, wonach Übereinstimmungen mit realen Personen rein zufällig und nicht gewollt seien. Das OLG Hamburg und das LG Hamburg stellen ausdrücklich klar, dass dieser Disclaimer keinesfalls zur Fiktionalität der Handlung und damit zum Entfall der Interessenabwägung führt. Besonders bei der Produktion von Spielfilmen und Dokumentarfilmen, die auf realen Begebenheiten basieren, sollten die Beteiligten die rechtlichen Voraussetzungen zur Darstellung einer bestimmten Person möglichst frühzeitig abklären.

 

 

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