Ein neues Haftungssystem für Plattformen – Ergebnisse aus der EuGH-Entscheidung Youtube/Uploaded, Artikel 17 DSM/ UrhDaG und dem DSA

von am 23. Mai 2022

Wir erleben derzeit in Europa grundlegende Veränderungen in Bezug auf die Haftung und die Pflichten von Plattformen bei Urheberrechtsverletzungen, die sich aus verschiedenen parallelen Entwicklungen ergeben. Diese sind

1. das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Sachen YouTube/Uploaded vom 22. Juni 2021 (C-682/18 und C-683/18);

2. die nationale (hier: die deutsche) Gesetzgebung zur Umsetzung von Artikel 17 DSM-Richtlinie (Richtlinie (EU) 2019/790) ist am 1. August 2021 in einem völlig neuen Gesetz in Kraft getreten: dem Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (kurz UrhDaG);

3. das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA; wie vom EU-Parlament am 23. April 2022 beschlossen);

4. das Urteil des Europäischen Gerichtshofes in Sachen Polen gegen Artikel 17 DSM-RL vom 26. April 2022 (C-401/19).

In diesem Artikel werden einige Überlegungen über die Beziehung zwischen diesen Konzepten und ihre gegenseitige Abhängigkeit dargelegt.

Erstens: Zur Entscheidung ‚YouTube/Uploaded‘ des EuGH

Die zentrale Frage, über die das Gericht zu entscheiden hatte, war, ob eine Video-Sharing-Plattform (hier YouTube) und eine Filesharing-Plattform (hier Uploaded) die ursprünglich von ihren Nutzern hochgeladenen Inhalte selbst öffentlich zugänglich machen und ob die Plattformen daher zur Unterlassung und zum Schadensersatz gegenüber den Rechteinhabern verpflichtet sind.

Der Europäische Gerichtshof hatte sich bereits mehrfach zur Auslegung des Begriffs der öffentlichen Wiedergabe im Sinne von Artikel 3 der InfoSoc-Richtlinie geäußert, und auch in dieser neuen Entscheidung bekräftigt der Gerichtshof die weite Bedeutung dieses Begriffs, um ein hohes Schutzniveau für die Interessen und Grundrechte des Urheberrechtsinhabers einerseits (Artikel 17 Absatz 2 GRCh) und die Interessen und Grundrechte der Nutzer in Bezug auf ihre Meinungs- und Informationsfreiheit (Artikel 11 GRCh) andererseits zu gewährleisten.

Der Gerichtshof wiederholt seine Ausführungen zu mehreren ergänzenden Kriterien, die zu berücksichtigen sind, und hebt erneut die Kriterien der zentralen Rolle und der Vorsätzlichkeit des Eingriffs, hervor.

Was ist neu an dieser Entscheidung?

In Bezug auf die Plattformen in der Rechtssache YouTube und Uploaded bestätigt der Gerichtshof die zentrale Rolle, die solche Plattformen hinsichtlich der von ihren Nutzern bewirkten Zugänglichmachung potenziell rechtsverletzender Inhalte spielen [EuGH C-682/18 und C-683/18, Rn. 77]. Dieses Kriterium scheint für den Gerichtshof eindeutig bestimmbar zu sein.

Das zweite Kriterium, die Vorsätzlichkeit des Eingriffs, d. h. das Handeln in voller Kenntnis der Folgen, um der Öffentlichkeit Zugang zu einem geschützten Werk zu verschaffen, ist natürlich schwieriger zu bewerten, da es sich um ein subjektives Element handelt. Dieses muss durch Rückschlüsse auf objektive, die betreffende Situation kennzeichnende Gesichtspunkte bestimmt werden, die Schlussfolgerungen über das subjektive Element ermöglichen.

In der Entscheidung in der Rechtssache Pirate Bay (C-610/15) war der ausschlaggebende Gesichtspunkt, dass der Betreiber ausdrücklich den Zweck verfolgt hatte, den Nutzern geschützte Inhalte zur Verfügung zu stellen, und die Nutzer zur Anfertigung von Kopien aufforderte [EuGH C-682/18 und C-683/18, Rn. 82].

In der Entscheidung GS Media (C-160/15) war die Handlung, einen Link zu einem bestimmten Inhalt zu setzen, der ausschlaggebende Gesichtspunkt; nur in diesem Fall ist es von Bedeutung, ob das Setzen dieses Links zu Erwerbszwecken erfolgt [EuGH C-682/18 und C-683/18, Rn. 86-88].

Für die Bestimmung der relevanten Gesichtspunkte für Videostreaming- oder Filesharing-Plattformen hat der Gerichtshof nun vier neue Gruppen von maßgeblichen Gesichtspunkten festgelegt [EuGH C-682/18 und C-683/18, Rn. 84]:

1. Der Umstand, dass in Betreiber, obwohl er weiß oder wissen müsste, dass über seine Plattform im Allgemeinen durch Nutzer geschützte Inhalte rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, nicht die geeigneten technischen Maßnahmen trifft, die von einem die übliche Sorgfalt beachtenden Wirtschaftsteilnehmer in seiner Situation erwartet werden können, um Urheberrechtsverletzungen auf der Plattform glaubwürdig und wirksam zu bekämpfen;

(Beispiel: Dies könnte der Fall sein, wenn Plattformen eine große Anzahl von Takedown Notices erhalten, aber keine Maßnahmen ergreifen, die über die Sperrung hinausgehen, um die Verbreitung illegaler Inhalte zu verhindern, wie z. B. die Einführung eines Filtersystems zur Identifikation solcher Inhalte.)

2. die Tatsache, dass dieser Betreiber an der Auswahl geschützter Inhalte, die rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden, beteiligt ist;

(Beispiel: Dies könnte der Fall sein, wenn bestimmte Inhalte zum Hochladen angefordert werden)

3. die Tatsache, dass der Betreiber auf seiner Plattform Hilfsmittel anbietet, die speziell zum unerlaubten Teilen solcher Inhalte bestimmt sind oder

(Beispiel: Dies könnte der Fall sein, wenn die rechtswidrige Zurverfügungstellung von Inhalten durch „One Click“-Uploads oder eine weitere Verbreitung erleichtert wird)

4. wenn der Betreiber ein solches Teilen wissentlich fördert, wofür der Umstand sprechen kann, dass er ein Geschäftsmodell gewählt hat, das die Nutzer seiner Plattform dazu anregt, geschützte Inhalte auf dieser Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich zu machen.

(Beispiel: Dies könnte der Fall sein, wenn eine Plattform Kick-back-Zahlungen für bestimmte Uploads anbietet; aber auch, wenn die Uploader andere Arten von Incentives erhalten, wie z. B. besondere Aufmerksamkeit anderer Nutzer)

Darüber hinaus weist das Gericht erneut darauf hin, dass ein maßgeblicher Gesichtspunkt wäre, wenn der Betreiber, obwohl er vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen wurde, dass bestimmte geschützte Inhalte über seine Plattform illegal öffentlich verbreitet werden, es unterlässt, unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu diesen Inhalten zu unterbinden. Damit wird jedoch lediglich die Situation geklärt, in der ein Betreiber einer Aufforderung zur Sperrung von Inhalten nicht nachkommt [EuGH C-682/18 und C-683/18, Rn. 85].

Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass es sicherlich auch ein relevanter Gesichtspunkt wäre, wenn die hauptsächliche oder überwiegende Nutzung der Plattform in der unrechtmäßigen öffentlichen Zugänglichmachung geschützter Inhalte bestünde, doch stellt das Gericht in seiner Formulierung klar, dass ein solcher Anteil keine Voraussetzung für ein vorsätzliches Handeln ist. [EuGH C-682/18 und C-683/18, Rn. 100, 101].

Die Beurteilung, ob eines dieser Kriterien erfüllt ist und daher eine Haftung der Plattform in Betracht kommt, ist Sache des nationalen Gerichts [Rn. 90] (hier: des Bundesgerichtshof in Deutschland, der am 2. Juni 2022 ein Urteil fällen wird), aber der EuGH gibt einige Hinweise für die vorliegenden Fälle:

  • Für YouTube sieht der EuGH tendenziell keine Haftung, da es nicht an der Einstellung und Auswahl von Inhalten beteiligt ist. Der Prozess ist automatisiert, ohne Sichtung oder Kontrolle [Rn. 92]. Die allgemeinen Nutzungsbedingungen/Community-Richtlinien erlauben keine Urheberrechtsverletzungen [Rn. 93]. YouTube ergreift auch mehrere technische Maßnahmen (z. B. Content ID) [EuGH C-682/18 und C-683/18, Rn. 94]. Die Erstellung von Ranglisten und Rubriken ist unerheblich [EuGH C-682/18 und C-683/18, Rn. 95]. Insbesondere beruht das Geschäftsmodell nicht in erster Linie auf dem unerlaubten Teilen von urheberrechtlich geschützten Inhalten [EuGH C-682/18 und C-683/18, Rn. 96].
  • Für Uploaded/Cyando deutet der EuGH eher auf eine Haftung hin. Zwar findet auch hier keine Erstellung, Auswahl, Sichtung oder Kontrolle von Inhalten durch den Betreiber statt [Rn. 97], und auch hier sind Urheberrechtsverletzungen in den AGB verboten und die Nutzer entscheiden allein, ob der einzelne Link geteilt (und damit der Inhalt überhaupt veröffentlicht) wird [EuGH C-682/18 und C-683/18, Rn. 98]. Allerdings würde entweder ein sehr hoher Anteil an rechtsverletzenden Inhalten oder dass das von dem Betreiber gewählte Geschäftsmodell auf der Verfügbarkeit rechtsverletzender Inhalte auf seiner Plattform beruht und seine Nutzer dazu verleiten soll, solche Inhalte über diese Plattform zu teile, zu einem vorsätzlichen Eingriff im Hinblick auf die unrechtmäßige öffentliche Zugänglichmachung der Inhalte führen [Rn. 101] und damit zur öffentlichen Wiedergabe durch die Betreiber selbst.

Aus diesen Ausführungen zu den spezifischen Plattformen in diesem Fall ergeben sich auch einige Kriterien, die nach Ansicht des EuGH offensichtlich nicht entscheidend für oder gegen eine Haftung nach Artikel 3 InfoSoc Richtlinie sind:

1. Nutzungsbedingungen, die Urheberrechtsverletzungen untersagen;

2. ein automatisiertes Verfahren beim Upload und der Veröffentlichung von Inhalten;

3. die letzte Entscheidung zur öffentlichen Zugänglichmachung liegt beim Nutzer;

4. Erstellung von Ranglisten und Rubriken;

5. gewinnorientierte Werbung.

Es ist bemerkenswert, dass diese Umstände den Faktoren sehr ähnlich sind, die einen Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten (Online Content Sharing Service Provider, OCSSP) gemäß Artikel 2 Nr. 6 der DSM-Richtlinie und ihrer nationalen Umsetzungen definieren (siehe etwa § 2 Abs. 1 UrhDaG) und die nach Article 17 Abs. 1 DSM-RL bzw. Art. 1 Abs. 1 UrhDaG zu einer öffentlichen Wiedergabe der Plattform bei Nutzeruploads führen, zu einer Haftung hierfür aber nur dann, wenn bestimmte Verpflichtungen nicht erfüllt werden (vgl. Art. 17 Abs. 4 DSM-RL, § 1 Abs. 2 UrhDaG).

Damit kommen wir zum zweiten Konzept der Haftung von Plattformen.

Zweitens: Artikel 17 DSM Richtlinie und seine nationale Umsetzung; hier: Deutsches UrhDaG

Nach § 2 Abs. 1 UrhDaG gilt das neue Gesetz speziell für Diensteanbieter, die

1. es als Hauptzweck ausschließlich oder zumindest auch verfolgen, eine große Menge an von Dritten hochgeladenen urheberrechtlich geschützten Inhalte zu speichern und öffentlich zugänglich zu machen,

2. die Inhalte im Sinne von Nr. 1 organisieren,

3. die Inhalte im Sinne von Nr. 1 zum Zweck der Gewinnerzielung bewerben und

4. mit Online-Inhaltediensten um dieselben Zielgruppen konkurrieren.

Für diese Diensteanbieter besteht die Möglichkeit, sich der Haftung für die öffentliche Wiedergabe der von ihren Nutzern hochgeladenen Inhalte zu entziehen, wenn sie bestimmte Pflichten nach den §§ 4 und 7 bis 11 UrhDaG erfüllen, die sich aus dem Gefährdungspotential ihrer Dienste ergeben.

Die Verpflichtungen der Plattformen gehen Hand in Hand mit Verpflichtungen der Rechteinhaber, die mit den Plattformbetreibern zusammenarbeiten müssen, um Urheberrechtsverletzungen zu minimieren, indem sie von ihrer Seite eine Lizenz verhandeln oder der Plattform die notwendigen und relevanten Informationen zur Verfügung stellen, um Verletzungen zu verhindern. Dieser neue kooperative Ansatz scheint geeignet, solche Plattformen und Massenkommunikation überhaupt zu ermöglichen und damit der Öffentlichkeit, den Nutzern, ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit (Artikel 11 GRCh) zu gewähren.

Es stellt sich jedoch die interessante Frage, wie Dienste zu behandeln sind, die eine oder mehrere der Voraussetzungen erfüllen, die zu einer Haftung nach Artikel 3 InfoSoc Richtlinie führen, und gleichzeitig unter die Definition eines OCSSP fallen. Könnten sich auch diese der Haftung entziehen, indem sie den Verpflichtungen nach Artikel 17 DSM Richtlinie/§ 1 Abs. 2 UrhDaG nachkommen? Auch wenn sie Nutzer dazu veranlassen, geschützte Inhalte hochzuladen, um sie auf rechtsverletzende Weise öffentlich zugänglich zu machen?

Für Dienste, deren Hauptzweck darin besteht, sich an Urheberrechtsverletzungen zu beteiligen oder diese zu erleichtern, ist das Gesetz eindeutig: Diese Dienste können sich nicht auf die Haftungsbefreiung nach Artikel 17 Abs. 4 DSM Richtlinie/§ 1 Abs. 2 UrhDaG berufen. [Erwägungsgrund 62 DSM Richtlinie; § 1 Abs. 4 UrhDaG].

Aber was ist mit den Diensten, die sich über die Erfüllung der OCSSP-Kriterien hinaus in das inhaltliche Angebot einbringen? Welche ein Geschäftsmodell aufbauen, das Rechtsverletzungen veranlasst, Werkzeuge für ein illegales Teilen bereitstellen und sich an der Auswahl von Inhalten beteiligen. Sollten diese von den Haftungsausnahmen profitieren?

Die Erwägungsgründe der Richtlinie gehen nicht ausdrücklich auf diese Frage ein, aber in deren Erwägungsgrund 64 heißt es: Dies gilt unbeschadet des im Unionsrecht an anderer Stelle verwendeten im Unionsrecht an anderer Stelle verwendeten Begriffs der öffentlichen Wiedergabe oder der öffentlichen Zugänglichmachung und auch die mögliche Anwendung von Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG auf andere Diensteanbieter, die urheberrechtlich geschützte Inhalte nutzen, wird hiervon nicht eingeschränkt. Zu diesen „anderen Diensteanbietern“ gehören sicherlich die Dienste, die die Kriterien eines OCSSP nicht erfüllen, wie z.B. reine Vermittlungsdienste oder solche, die von der Anwendung des Gesetzes in Artikel 2 Absatz 6 DSM-RL, umgesetzt in § 3 UrhDaG, ausgenommen sind, was sich auf gemeinnützige Online-Enzyklopädien, universitäre Repositorien, Entwicklungsplattformen für Open-Source-Software u.ä. bezieht, und selbstverständlich solche, die Piraterie als Hauptzweck haben. Aber was ist mit den Plattformen, die einen großen Bestand an illegalen Werken auf ihrer Plattform haben und weitere Rechtsverletzungen aktiv erleichtern und fördern. Sollten diese von den Haftungsausnahmen profitieren, wenn sie gleichzeitig unter die Definition eines OCSSP fallen, oder könnten diese Plattformen als „andere Diensteanbieter“ eingestuft werden, die gemäß Artikel 3 InfoSoc Richtline haftbar gemacht werden können?

Die Gesetzesbegründung des deutschen UrhDaG führt aus (BT-Drs. 19, 27426, S. 130): „Die Regelung hat in weiten Teilen den Charakter einer lex specialis zu Artikel 3 Absatz 1 Infosoc Richtlinie mit der Folge, dass für die Haftung von Diensteanbietern im Sinne der DSM-RL sowie für deren Nutzer überwiegend die Regelungsbefehle in Artikel 17 DSM Richtlinie maßgeblich sind, nicht aber Artikel 3 Absatz 1 oder Artikel 5 InfoSoc Richtlinie „.

Diese Formulierung deutet darauf hin, dass das neue Gesetz möglicherweise nicht abschließend ist und dass weiterhin Raum für eine Haftung nach Artikel 3 Abs. 1 InfoSoc Richtlinie bestehen könnte. Darüber hinaus stellt die DSM Richtlinie eindeutig fest, dass die Ziele und Grundsätze des Unionsrahmens für das Urheberrecht weiterhin Bestand haben (Erwägungsgrund 3 DSM Richtlinie), und verweist auf die Aussage in der InfoSoc-Richtlinie, dass „jede Harmonisierung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte von einem hohen Schutzniveau ausgehen muss“ (Erwägungsgrund 9 der InfoSoc-Richtlinie). Eine neue Gesetzgebung wie die DSM Richtlinie und ihre nationalen Umsetzungen müssen daher immer ein hohes Schutzniveau anstreben, so dass die Herabsetzung eines bereits bestehenden Schutzniveaus durch ein solches neues Gesetz diesem Ziel gerade nicht entspricht.

Drittens: Der Digital Services Act (DSA) – das Gesetz über digitale Dienste

Am 23. April 2022 stimmte das Europäische Parlament dem Gesetz über digitale Dienste zu, das unter anderem die Haftungsprivilegierungs-Bestimmungen des Artikel 14 der E-Commerce-Richtlinie (Richtlinie 2000/31/EG) harmonisiert. Die bedingte Haftungsbefreiung nach dem DSA gilt jedoch nur für „reine“ Vermittlungsdienste, die durch ihren rein technischen, automatischen und passiven Charakter definiert sind, und gilt daher weder für OCSSP-Plattformen noch für Plattformen, die im Sinne von Artikel 3 der InfoSoc Richtlinie öffentlich wiedergeben.

Viertens: Die EuGH Entscheidung zur Klage Polens gegen Artikel 17 DSM Richtlinie vom 26 April 2022 (C-401/19)

Im Fall Polen gegen Artikel 17 DSM Richtlinie hat der EuGH mit Urteil vom 26. April 2022 (C-401/19) bestätigt, dass Artikel 17 DSM Richtlinie gültig ist und so in nationales Recht umgesetzt werden kann, dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen durch die Charta geschützten Grundrechten sichergestellt wird.

Das Haftungssystem

Aus den obigen Ausführungen ergibt sich der nachfolgende Überblick über die verschiedenen Kategorien von Plattformen und die Folgen für eine öffentliche Zugänglichmachung (CTTP), eine Haftung und die Anwendung einer Haftungsprivilegierung („Safe-Harbor“-Regelung):

Artikel 3 bezieht sich auf Artikel 3 der InfoSoc Richtlinie; Artikel 14 bezieht sich auf Artikel 14 E-Commerce Richtlinie; Artikel 17 bezieht sich auf Artikel 17 DSM Richtlinie

In vielen Fällen dürfte eindeutig sein, in welche Kategorie die betreffende Plattform fällt. Da sich die Plattformmodelle jedoch stark voneinander unterscheiden und die Funktionalitäten bei solchen Plattformen leicht geändert sowie ein- und ausgeschaltet werden können, könnte die Bestimmung im Einzelfall schwierig sein. Außerdem könnten sich die Kategorien im Laufe der Zeit ändern. Dies könnte es erforderlich machen, einen neuen Ansatz für die Behandlung und Durchsetzung von Verstößen auf Plattformen zu finden. Sind die OCSSP-Kriterien erfüllt, müssen sowohl Rechteinhaber als auch Plattformen kooperativ zusammenarbeiten, da ein Gericht andernfalls zu dem Schluss kommen könnte, dass die Plattform unter die Ausnahmeregelung nach Artikel 17 Abs. 4 DSM Richtlinie / § 1 Abs. 2 UrhDaG oder unter die Privilegien eines Diensteanbieters im DSA fällt, es sei denn, es kann eine weitere vorsätzliche Absicht nachgewiesen werden, illegale Inhalte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In diesem Fall könnte eine Haftung nach Artikel 3 InfoSoc Richtlinie – ohne Möglichkeit der Enthaftung – weiterhin greifen. Weder die Gesetzesbegründung der DSM-Richtlinie noch die des UrhDaG noch die Begründung des EuGH-Urteils Polen gegen Artikel 17 DSM Richtlinie (C-401/19) schließen eine derartige Haftung bei Vorliegen der zusätzlichen Voraussetzungen ausdrücklich aus. Vielmehr geht aus den Gesetzesbegründungen und auch aus der Entscheidung C-401/19 hervor, dass Rechteinhabern ein hohes Maß an Schutz zukommen soll und der neue Regelungsrahmen die Rechtsdurchsetzung erleichtern soll. Die Verhandlungsposition der Rechteinhaber soll verbessert werden. Ein Ausschluss der bereits nach Artikel 3 InfoSoc Richtlinie bestehenden Haftung würde dem zuwiderlaufen.

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