Gendern von Texten ohne Einverständnis des Autors verstößt gegen Urheber- und Persönlichkeitsrecht

von am 21. Juni 2022

Nach Ansicht des Landgerichts Hamburg verstößt das Gendern von Texten ohne Einverständnis des Autors gegen dessen Urheber- und Persönlichkeitsrecht. Der Rechtsstreit zwischen einer Autorin und einem Verlag über die nachträgliche Änderung eines Artikels in gendergerechte Sprache vor dem LG Hamburg (Az. 308 O 176/21) endete am 18.05.2022 mit einem Vergleich zwischen den Prozessparteien. Nach einer Pressemitteilung des Vereins Deutsche Sprache (VDS) hatte das Gericht in der mündlichen Verhandlung die Auffassung vertreten, dass in der Änderung eines Textes in gendergerechte Sprache ohne Einverständnis der Autorin „unstrittig“ ein Verstoß gegen das Urheber- und Persönlichkeitsrecht liege. Die Pressemitteilung finden Sie hier.

Sachverhalt

Der beklagte Verlag hatte im Vorlauf des gerichtlichen Verfahrens die Originalversion des Artikels, den die Autorin verfasst hatte, in gendergerechte Sprache geändert. Unter anderem hatte der Verlag das Wort „Zeichner“ in „zeichnende Person“ geändert. Die Autorin hatte diesen Änderungen ausdrücklich widersprochen. Gleichwohl veröffentlichte der Verlag den Artikel in gendergerechter Sprache. Dagegen richtete sich die Klage der Autorin. Vor Gericht machte sie eine Geldentschädigung geltend und beantragte, den Verlag auf Unterlassen der weiteren Verbreitung des gegenderten Artikels zu verpflichten.

In der Hauptverhandlung vertrat das Gericht die Auffassung, dass in der nachträglichen Änderung des Artikels „unstrittig“ ein Verstoß gegen das Urheber- und Persönlichkeitsrecht der Autorin liege. Die Parteien schlossen schließlich einen Vergleich, der den Verlag verpflichtet, die gegenderten Passagen des Artikels zumindest im Online-Angebot in die ursprüngliche Fassung zurückzusetzen. Zudem muss der Verlag 4/5 der Prozesskosten tragen. Da es nicht zu einer gerichtlichen Entscheidung kam, fehlt es an Entscheidungsgründen, die zur Nachvollziehbarkeit der in der Verhandlung geäußerten Rechtsauffassung des Gerichts beigetragen hätten. Der Blogbeitrag arbeitet die wesentlichen Gesichtspunkte des Falles rechtlich auf. In aller Kürze wird zudem der Frage nachgegangen, wie die nachträgliche Änderung von Texten in die neue deutsche Rechtschreibung (Abwandlung 1) und im Sinne der „Political Correctness“ (Abwandlung 2) ohne das Einverständnis des Urhebers rechtlich zu beurteilen ist.

Rechtliche Rahmenbedingungen einer Änderung von Texten durch Verlage

Die im Verfahren streitentscheidende Norm ist § 39 UrhG. Der Inhaber eines Nutzungsrechts darf danach das Werk, dessen Titel oder Urheberrechtsbezeichnung nicht ändern, wenn nichts anderes vereinbart ist (§ 39 Abs. 1 UrhG). Eine Vereinbarung über die nachträgliche Änderung eines Textes können Verlag und Autor ausdrücklich im Verlagsvertrag treffen. Der Autor kann jedoch auch konkludent erklären, mit nachträglichen Änderungen seines Textes einverstanden zu sein, indem er die Druckfahne des geänderten Textes widerspruchslos abnimmt. Im Fall hatte die Autorin ausdrücklich erklärt, mit den Änderungen nicht einverstanden zu sein.

Sofern eine Vereinbarung zwischen Autor und Verlag nicht vorliegt, ist eine Änderung von Texten zulässig, sofern der Urheber (der Autor) seine Einwilligung nach Treu und Glauben nicht versagen kann (§ 39 Abs. 2 UrhG). Im Rahmen einer Abwägung werden die Interessen des Verlags an der Änderung des Textes den Interessen des Autors an der unveränderten Veröffentlichung des Textes gegenübergestellt. Für eine zulässige Änderung des Textes bedarf es eines deutlichen Übergewichts der Interessen des Verlags an der Änderung. Das Gesetz stärkt damit ganz maßgeblich das Urheberrecht des Autors an seinem Text.

Interessenabwägung – Änderung von Texten in gendergerechte Sprache

Die nach § 39 Abs. 2 UrhG anzustellende Interessenabwägung dürfte, im Sinne der Auffassung des LG Hamburg, zugunsten der Interessen des Autors an der Veröffentlichung des unveränderten Artikels ausfallen. Die Verwendung der gendergerechten Sprache kann nach gegenwärtigem Stand weder als verkehrsüblich angesehen werden noch genießt sie eine breite Akzeptanz in der deutschen Sprachgemeinschaft. Verwendet der Autor in seinen Texten konsequent das generische Maskulinum, bezieht er zudem Stellung in einer gesellschaftspolitisch kontrovers geführten Debatte. Sein Urheberpersönlichkeitsrecht wäre nicht nur unerheblich beeinträchtigt, könnte der Verlag Texte auch ohne sein Einverständnis nachträglich gendern. Nur in Ausnahmefällen dürfte das Interesse des Verlages an der Werkänderung das Interesse des Autors an der unveränderten Veröffentlichung seines Werkes überwiegen. Der Verlag könnte argumentieren, dass die Verwendung der gendergerechten Sprache im Sinne der Einheitlichkeit der Sprache in Sammelwerken und Presseerzeugnissen erforderlich sei. Dass die Abwägung jedoch allein auf dieser Argumentationsgrundlage zugunsten des Verlages ausfällt, ist damit nicht gesagt.

Abwandlung 1: Änderung von Texten in die neue deutsche Rechtschreibung

Vom Einzelfall abhängig dürfte auch die nach § 39 Abs. 2 UrhG anzustellende Güter- und Interessenabwägung abhängig sein, sollte der Verlag einen Text ohne Zustimmung des Autors in die neue deutsche Rechtschreibung ändern wollen oder geändert haben. Dem Grunde nach dürfte auch die Verwendung der neuen deutschen Rechtschreibung (noch) nicht als verkehrsüblich angesehen werden können. Rechtsverbindlichkeit kommt ihr lediglich für den Bereich der Schule und der (staatlichen) Verwaltung zu. Zudem findet sie gegebenenfalls als besonderes Stilmittel des Autors Verwendung. Wird die Verkäuflichkeit eines Buches allerdings (wie etwa im Falle von Schulbüchern) durch die Verwendung der alten Rechtschreibung spürbar beeinträchtigt, spricht Vieles für ein Überwiegen des Interesses des Verlages an der Änderung eines Textes. Verlage könnten zudem (wiederum) argumentieren, dass die Verwendung der neuen Rechtschreibung im Sinne der Einheitlichkeit der Sprache in Sammelwerken und Presseerzeugnissen erforderlich sei.

Abwandlung 2: Änderung von Texten im Sinne der „Political Correctness“

Breite Aufmerksamkeit hat in der jüngeren Vergangenheit die Änderung von Begrifflichkeiten oder ganzen Passagen in den Büchern von Astrid Lindgren (Pippi Langstrumpf) und Ottfried Preußler (Die kleine Hexe) bekommen. Zahlreiche Passagen und Begrifflichkeiten in den Originalfassungen der Bücher wurden vielfach als beleidigend und Ressentiments bedienend wahrgenommen. In der Vergangenheit erklärten sich die Urheber bzw. die Inhaber der Rechte an den entsprechenden Werken mit einer Änderung der betreffenden Passagen und Begrifflichkeiten einverstanden. Aus dem „Negerkönig“, dem Vater von Pippi Langstrumpf, wurde so etwa der „Südseekönig“. Ottfried Preußler erklärte sich kurz vor seinem Tod im Jahr 2013 mit über 70 Änderungen allein an seinem Werk „Die kleine Hexe“ einverstanden.

Ob Verlage auch ohne das Einverständnis des Urhebers entsprechende Änderungen vornehmen könnten, ist offen. In der nach § 39 Abs. 2 UrhG vorzunehmenden Interessenabwägung lassen sich gute Argumente zugunsten des Verlages als auch des Urhebers anführen. Einerseits dürften die Werke etwa Ottfried Preußlers als Gegenstände der literarischen Zeitgeschichte gelten, die die Entwicklung der deutschen Sprache abbilden. Die Verwendung sprachlich überkommener Begrifflichkeiten ist damit ein Wesensmerkmal der älteren Literatur. Andererseits entsprechen diese Begrifflichkeiten nicht mehr dem deutschen Sprachgebrauch und Menschenbild der Gegenwart. Insbesondere ihre Verwendung in Kinderbüchern dürfte pädagogisch fragwürdig sein und zu Missverständnissen führen. Ob die Interessenabwägung zugunsten des Urhebers oder des Inhabers eines Nutzungsrechts ausfällt, ist schließlich für den jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Von maßgeblicher Bedeutung für das Ergebnis der Abwägung dürfte auch sein, ob und wie der Verlag Änderungen kenntlich macht oder nicht.

Praxishinweis

Das deutsche Urheberrecht schützt den Urheber in besonderem Maße vor Änderungen seiner Werke durch Dritte. Verlagen drohen erhebliche finanzielle Schäden, ändern sie ohne Einverständnis des Autors dessen Texte. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Änderungen die gendergerechte Sprache beziehungsweise die neue deutsche Rechtschreibung zum Gegenstand haben oder im Sinne der „Political Correctness“ sind. Der Urheber kann im Falle einer Urheberrechtsverletzung Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz verlangen. Er kann damit vom Verlag gegebenenfalls auch verlangen, bereits gedruckte Bücher oder Presseerzeugnisse zurückzunehmen. Diesem Risiko begegnet der Verlag, indem er mit dem Autor eindeutige und verbindliche Vorgaben über die Form des Textes im Verlagsvertrag vereinbart. Auf den positiven Ausgang einer gerichtlichen Abwägung nach § 39 Abs. 2 UrhG sollte sich der Verlag nicht verlassen.

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