Kein „strenges Gleichbehandlungsgebot“ für Bewertungsportale

von am 7. Januar 2022

In den andauernden Auseinandersetzungen zwischen Bewertungsportalen und Bewerteten hat der Bundesgerichtshof nun erneut zwei Urteile erlassen (BGH ZR VI 488/19 und ZR VI 489/19). Er hat dabei erneut die Frage beantwortet, wann ein Bewerteter aus datenschutzrechtlichen Gründen die Löschung eines auf ihn ungefragt angelegten Profils verlangen kann, bzw. die Unterlassung der (Neu-)Anlage eines solchen Profils.

Zur Erinnerung:

  • 2014 hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung „Jameda I“ herausgestellt, dass bei einer Abwägung der Interessen der Bewerteten einerseits und der Interessen des Portals und der das Portal nutzenden Allgemeinheit die Interessen der Bewerteten im Grundsatz zurücktreten müssen. Zwar ist die ungefragte Anlage eines „Basisprofils“ durchaus ein nicht unerheblicher Eingriff in die Rechtspositionen des Bewerteten. Aber diese wiegen nicht so schwer, dass das entgegenstehende Interesse der Allgemeinheit an der Transparenz im Gesundheitswesen zurückstehen muss.
  • 2018 hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung „Jameda III“ diese Haltung bekräftigt, aber insofern relativiert, als dass die Grundentscheidung aus 2014 nur insofern gültig ist, als dass Jameda als „neutraler Informationsvermittler“ auftritt. Verlässt das Bewertungsportal diese Rolle, können Ärzte die Löschung ihrer Jameda-Profile verlangen.

Vor diesem Hintergrund war es nur eine Frage der Zeit, bis vor Gerichten die Frage ausgelotet wird, wann und unter welchen Bedingungen von einer Rolle als „neutraler Informationsvermittler“ ausgegangen werden darf, bzw. wann diese nicht mehr vorliegt. Dies ist mit den nun ergangenen Urteilen passiert. Der Bundesgerichtshof hat hier seine in den vorangegangenen Prozessen verfolgte Linie konsequent fortgesetzt.

Sachverhalt

Auch im aktuellen Fall ging es um die Frage, ob ein Bewertungsportal ungefragt personenbezogene Daten der Ärzte nuten darf. Die Plattform, hier „Jameda“, legt von wahrscheinlich allen Ärzten in Deutschland sogenannte „Basisprofile“ an, ohne die Ärzte um ihre Einwilligung zu dieser Nutzung ihrer personenbezogenen Daten zu bitten. Diese „Basisprofile“ sind kostenlos und beinhalten Informationen, die z.B. auch in Telefonbüchern zu finden sind. Sie bilden das Rückgrat der von Jameda bereitgestellten Datenbank. Darauf aufbauend bietet Jameda kostenpflichtige Dienstleistungen an, die den in der Datenbank gelisteten zahlenden Ärzten Vorteile bieten sollen – vor allem Vorteile gegenüber den nicht-zahlenden Kunden.

Personenbezogene Daten sind nach den Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) geschützt. Artikel 17 DSGVO statuiert einen Löschungsanspruch derjenigen, deren Daten verarbeitet werden, wenn keine legitime Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung (mehr) vorliegt. In den nun entschiedenen Fällen halten die Ärzte die Datenverarbeitung durch Jameda für illegal und verlangten die vollständige Löschung ihrer „Basisprofile“ nach Artikel 17 DSGVO.

Jameda hingegen berief sich einerseits auf das sogenannte „Medienprivileg“: die Regeln der Datenschutzgrundverordnung wären gemäß Artikel 85 Absatz 2 DSGVO, § 38 BayDSG auf Jameda gar nicht anwendbar. Und wenn doch, so hätte der Bundesgerichtshof andererseits bereits im Jahr 2014 statuiert, dass Bewertungsplattformen eine wichtige und gesellschaftlich gewünschte Funktion erfüllen würden. Man habe aufgrund dieser Funktion ein „berechtigtes Interesse“ an der Nutzung der Daten der Ärzte für die „Basisprofile“. Die Datenverarbeitung sei damit jedenfalls gemäß Artikel 6 Absatz 1 Lit. f DSGVO rechtmäßig. Daher wäre die Anlage und die Vorhaltung der „Basisprofile“ auf der Plattform legitim, ein Löschungsanspruch gemäß Artikel 17 DSGVO läge mithin nicht vor.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof ist der Meinung, dass Jameda keine eigenständige meinungsbildende Tätigkeit ausübt. Die Bereitstellung von Listen mit von Dritten erstellten Meinungsbeiträgen sei kein Journalismus, auch nicht die gelisteten Meinungsbeiträge selber. Damit unterfalle Jameda nicht der Ausnahme gemäß Artikel 85 Absatz 2 DSGVO, § 38 BayDSG (dem sogenannten „Medienprivileg“) und müsse sich an den Maßstäben der DSGVO messen lassen.

In der damit erforderlichen Abwägung, ob Jameda tatsächlich ein „berechtigtes Interesse“ im Sinn von Artikel 6 Absatz 1 Lit. f DSGVO zukommt, war erneut entscheidend, ob Jameda als „neutraler Informationsvermittler“ handelte oder nicht. Zur Beantwortung dieser Frage hat der Bundesgerichtshof insgesamt 22 Gestaltungselemente und Funktionen des Portals von Jameda einzeln betrachtet und jeweils entschieden, ob die jeweilige Ausgestaltung diesem Anspruch gerecht wird.

Der Bundesgerichtshof hat – nicht überraschend – festgestellt, dass „Basisprofile“ anders behandelt werden als „Premiumkunden“ und dass sich Jameda die Bevorteilung der „Premiumkunden“ bezahlen lässt. Eine solche Ungleichbehandlung hält der Bundesgerichtshof jedoch im Grundsatz für legitim. Er hat konstatiert, dass die Pflicht zum Auftreten als „neutraler Informationsvermittler“ kein „strenges Gleichbehandlungsgebot“ enthält. Im Gegenteil darf Jameda als Teil seiner Dienstleistungen „Basiskunden“ durchaus anders – und auch besser – behandeln als „Premiumkunden“. Dies ist zulässig, solange aus einem solchen Verhalten den „Basiskunden“ kein unmittelbarer Nachteil entsteht – etwa, weil ihre Reputation ganz konkret belastet oder eine Lenkungswirkung von potentiellen Patienten vom „Basiskunden“ weg hin zu „Premiumkunden“ feststellbar ist. Ein lediglich reflexhafter Nachteil hingegen, der allein daraus entsteht, dass „Premiumkunden“ eine bessere Behandlung erhalten bewirkt jedoch nicht, dass Jameda die Position als „neutraler Informationsvermittler“ verlässt. Bei dem für das aktuelle Urteil vom Bundesgerichtshof geprüften Konstellationen hat das Gericht eine solche konkrete Belastung für den „Basiskunden“ abgelehnt. Jameda hat also ein „berechtigtes Interesse“, die Daten der Ärzte für „Basisprofile“ zu nutzen, auch ohne die Ärzte um ihre Einwilligung zu der Datennutzung zu fragen.

Fazit

Die Gestaltung des Bewertungsportals Jameda hat damit die Feuerprobe vor dem Bundesgerichtshof bestanden. Zumindest für die Version von 2019 hat das Gericht bestätigt, dass die Anlage von „Basisprofilen“ datenschutzrechtlich zulässig und nicht angreifbar war. Aber natürlich entwickelt sich Jameda wie jedes Internetangebot stetig fort. Ob die Maßstäbe, die das oberste deutsche Gericht definiert, auch in Zukunft von Jameda (oder anderen Portalen) eingehalten werden, wird sich zeigen.

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