Keine Urheberrechtsverletzung durch Abmalen eines Soldaten von einem Foto

von am 5. November 2020

Prägnante Motive eines Fotos dienen gerne als Vorlage für eine Zeichnung oder Grafik. Nicht jeder Fotograf fühlt sich deshalb geschmeichelt. Es kann auch zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung führen, wie ein Verkäufer von bedruckten Kleidungsstücken feststellen musste. Für das Abmalen eines Motivs von einem Foto musste er sich vor dem Landgericht Hamburg wegen einer möglichen Urheberrechtsverletzung verteidigen. Mit Erfolg (Urteil vom 22.05.2020, Az. 308 S 6/18).

Sachverhalt

Klägerin ist die größte deutsche Nachrichtenagentur. Sie ist Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte an einer Fotografie des Fotografen Michael Hanschke aus dem Jahr 2012, die einen Soldaten in Kundus, Afghanistan, zeigt.

Afghanistan-Foto

Foto von Michael Hanschke; Quelle: Urteil des LG Hamburg vom 22.05.2020, Az. 308 S 6/18

Der Beklagte hat in seinem Online-Shop Kleidungsstücke angeboten, auf denen er den Soldaten neben einem Bibelzitat abgedruckt hat (»Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal fürchte ich kein Unglück!«). Die Figur des Soldaten hatte der Beklagte von der Fotografie abgezeichnet.

Afghanistan-Pullover

Quelle: Urteil des LG Hamburg vom 22.05.2020, Az. 308 S 6/18

Darin sah die Klägerin eine Verletzung ihrer ausschließlichen Nutzungsrechte. Sie verklagte den Anbieter der Kleidungsstücke auf Erteilung von Auskünften über den Vertrieb der Produkte. Außerdem beantragte sie die Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Schadensersatz. Das Amtsgericht Hamburg hatte in erster Instanz die Klage abgewiesen. Die Klägerin legte hiergegen Berufung ein.

Entscheidung

Das Landgericht Hamburg hat die Berufung zurückgewiesen und damit die Abweisung der Klage bestätigt. Nach Ansicht des Gerichts liegt keine Urheberrechtsverletzung durch das Abmalen von einem Foto vor. Zugleich wurde die Revision zugelassen.

Zunächst stellte das Gericht fest, dass es sich bei der Fotografie insgesamt um ein urheberrechtlich geschütztes Lichtbildwerk (§ 2 UrhG) handelt. Der Fotograf bringe mit dem gewähltem Bildausschnitt und der gezielt eingesetzten Verteilung von Schärfe und Unschärfe ein für den Schutz ausreichendes Maß an persönlicher geistiger Schöpfung zum Ausdruck.

Der aus dem Bildhintergrund herausgelöste Soldat hingegen ist nach Ansicht des Gerichts für sich genommen als Werkteil nicht urheberrechtlich geschützt; das Motiv des Soldaten weise keine besonderen schöpferischen Elemente auf. Aber dieser Ausschnitt sei jedenfalls als Lichtbild nach § 72 UrhG durch ein Leistungsschutzrecht geschützt. Das heißt, auch der Ausschnitt des Fotos darf nicht ohne die Zustimmung der Klägerin verwertet werden.

Das Gericht kommt sodann jedoch zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem abgemalten Soldaten um eine zulässige freie Benutzung nach § 24 UrhG handelt. Demnach darf ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes verwertet werden. Eine solche freie Benutzung setzt voraus, dass sich das neue eigenständige Werk von dem benutzten Original hinreichend abhebt. Das Original muss insoweit „verblassen“, es darf nur als Anregung dienen.

Maßgebend für die Beurteilung ist dabei ein Vergleich des jeweiligen Gesamteindrucks der Gestaltungen. In dessen Rahmen sind sämtliche übernommenen schöpferischen Züge in einer Gesamtschau zu berücksichtigen.

Das Gericht stellt dann noch einmal fest, dass der hier übernommene Ausschnitt, also das Motiv des Soldaten, eben gerade keine eigenpersönlichen Züge aufweise. Es wurden also auch keine auf den Fotografen zurückzuführenden schöpferischen Züge übernommen. Vielmehr liegt angesichts des geringen Schutzumfanges des Leistungsschutzrechts des § 72 UrhG beim Abmalen einer Person von einem Foto regelmäßig eine freie Benutzung vor. Nur ausnahmsweise sei dies anders, wenn auch besondere Gestaltungsmittel der Fotografie (Licht und Schatten, Grautöne, Schärfen und Unschärfen etc.) und die ggf. individuelle Auswahl und Anordnung des Motivs (Gruppierung von mehreren Personen, Wahl des Blickwinkels etc.) in der Zeichnung übernommen werden. Dies sei hier aber nicht der Fall.

Außerdem führe vorliegend die grobe Art der Zeichnung zu einer erheblichen Abstrahierung und Entpersonalisierung gegenüber der Fotografie und das Hinzufügen des Bibelzitats zu einem „neuen Assoziationsansatz“.

Schließlich führt das Gericht aus, dass der Annahme einer freien Benutzung auch die Regelungen der InfoSoc-Richtlinie der EU nicht entgegenstehen. Hintergrund dieser Prüfung durch das Gericht ist die aktuelle Rechtsprechung des EuGH. Demnach darf ein Mitgliedstaat in seinem nationalen Recht keine Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf die Vervielfältigungsrechte gemäß Art. 2 InfoSoc-RL vorsehen, die nicht in Art. 5 dieser Richtlinie vorgesehen sind (EuGH, Urteil vom 29.07.2019, Pelham, C-476/17, ECLI:EU:C:2019:624 – Sampling als unerlaubte Vervielfältigung). Die Ausnahme einer „freien Benutzung“ kennt diese Richtlinie aber nicht. § 24 UrhG gilt daher als unionsrechtswidrig.

Diese Rechtsprechung des EuGH greift nach Ansicht des Gerichts im vorliegenden Fall aber nicht. Lichtbilder im Sinn des § 72 UrhG fallen schon nicht in den Schutzbereich der Richtlinie, denn sie sind im Schutzkatalog der Richtlinie nicht aufgeführt. Darin liege zugleich der wesentliche Unterschied zum Sachverhalt der oben zitierten Sampling-Entscheidung des EuGH. Es sei auch kein Grund ersichtlich, dass die EuGH-Rechtsprechung dennoch auf Lichtbilder übertragen werden müsse. Das sei eine Entscheidung des Gesetzgebers.

Auswirkungen auf die Praxis

In diesem Fall stellte das Abmalen von einem Foto keine Urheberrechtsverletzung dar. Die Entscheidung zeigt aber ein weiteres Mal, dass die Übernahme von Teilen urheber- oder leistungsschutzrechtlich geschützter Vorlagen mit äußerster Vorsicht zu genießen ist. Dabei ist es egal, ob es sich um eine Tonsequenz beim Sampling oder wie hier um das Motiv einer Fotografie handelt. Die Übernahme wird nicht ohne weiteres deshalb zulässig, weil man die Vorlage ein wenig bearbeitet oder mit einem eigenen Werk kombiniert.

Im Übrigen entpuppt sich der einfache und durchaus gängige Sachverhalt dieser Entscheidung als ein Wolf im Schafspelz. Der Fall wirft rechtlich eine ganze Reihe ungeklärter Fragen auf; auch die vom Gericht vorgenommenen Bewertungen ließen sich durchaus anders vornehmen.

Schließlich kommt noch hinzu, dass das Thema „freie Benutzung“ Gegenstand einer Reform des Urheberrechts ist. So ist derzeit eine neue gesetzliche Formulierung geplant, die das „Abkupfern“ von einer Vorlage dann zulässt, wenn „das neu geschaffene Werk einen hinreichenden Abstand zum benutzten Werk wahrt“. Auch wird es eine neue Regelung geben, die neben Karikaturen und Parodien auch Pastiches für zulässig erachtet. Ob diese neuen Regelungen zu mehr Klarheit führen, bleibt allerdings abzuwarten.

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