Neue Vorgaben an die Barrierefreiheit von Intermediären, Benutzeroberflächen, Medienplattformen und Rundfunkprogrammen
Mit dem zweiten Medienänderungsstaatsvertrag ergeben sich für die Anbieter von Intermediären, Benutzeroberflächen, Medienplattformen und Rundfunkprogrammen neue Vorgaben an die Barrierefreiheit. Der zweite Medienänderungsstaatsvertrag trat am 30. Juni 2022 in Kraft. Mit ihm setzen die Landesgesetzgeber insbesondere die Vorgaben der Europäischen Richtlinie über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (RL (EU) 2019/882) um. Ziel ist, durch den Ausbau barrierefreier Medienangebote allen Menschen die Teilhabe am medialen Diskurs und an der Gesellschaft insgesamt zu ermöglichen.
1. Neue Begriffsdefinition „barrierefreies Angebot“
Neu ist zunächst die Aufnahme einer Begriffsdefinition zum „barrierefreien Angebot“ im Medienstaatsvertrag (MStV). Ein barrierefreies Angebot ist „ein Angebot, das für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, bei Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel, nach dem jeweiligen Stand der Technik ohne besondere Erschwernis und möglichst (Kenntlichmachung durch Verf.) ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar ist“ (§ 2 Abs. 2 Nr. 30 MStV). Menschen mit Behinderungen werden vom Gesetz nicht definiert. Herangezogen werden kann jedoch das Begriffsverständnis aus § 2 Nr. 1 Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Danach sind „Menschen mit Behinderungen“ Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Neue Vorgaben an die Barrierefreiheit im MStV schützen damit nicht nur Menschen mit körperlichem, sondern auch mit kognitivem Handicap.
2. Neue Vorgaben an Intermediäre, Benutzeroberflächen und Medienplattformen
Gänzlich neu sind die Vorgaben in den §§ 99a bis 99e MStV an die Barrierefreiheit von Intermediären, Benutzeroberflächen und Medienplattformen. Sie sind „Dienste, die den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten ermöglichen“ (vgl. auch die neue Begriffsdefinition in § 2 Abs. 2 Nr. 31 MStV).
a) Verpflichtende Vorgaben an die Barrierefreiheit von Zugangsdiensten
Kern der Neuregelung ist § 99a Abs. 1 MStV. Anbieter von Intermediären, Benutzeroberflächen und Medienplattformen, die den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten ermöglichen, gewährleisten danach verpflichtend den barrierefreien Zugang, gestalten die Auswahl der Angebote barrierefrei aus und unterstützen die barrierefreie Nutzung. Die Vorgabe betrifft den Dienst in seiner Gesamtheit und nicht nur Teile davon. Anbieter von Intermediären, Benutzeroberflächen und Medienplattformen werden vertieft prüfen müssen, welche Barrieren bei dem Zugang und der Nutzung ihres Dienstes bestehen. Barrieren können etwa nicht allein darin bestehen, dass sehbehinderte Menschen audiovisuelle Inhalte auf Medienplattformen nicht oder nur erschwert nutzen können. Ihnen wird bereits der Zugang zur Medienplattform erschwert, sollte der Anmeldevorgang oder die Menüführung die Freiheit von einer Sehbehinderung voraussetzen.
Die Verpflichtung zur Umsetzung der in § 99a Abs. 1 MStV genannten Vorgaben besteht nur dann nicht, sofern sie den Diensteanbieter unverhältnismäßig belastet oder ihre Umsetzung eine wesentliche Änderung des Dienstes erfordert. Der Anbieter wird sich hierauf jedoch nicht ohne Weiteres berufen können. An das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes ist ein strenger Maßstab anzulegen. Zudem hat der Diensteanbieter für den Fall, dass er einen Ausnahmetatbestand für sich in Anspruch nehmen möchte, eine entsprechende Beurteilung vorzunehmen, diese zu dokumentieren und alle einschlägigen Ergebnisse für einen Zeitraum von fünf Jahren nach der letzten Erbringung des jeweiligen Dienstes aufzubewahren (§ 99a Abs. 2 und 3 MStV).
b) Informationspflichten
Intermediäre, Benutzeroberflächen und Medienplattformen haben in barrierefreier Form für die Allgemeinheit in ihren AGB oder auf andere deutlich wahrnehmbare Weise anzugeben, wie sie die Barrierefreiheitsanforderungen aus § 99a Abs. 1 MStV erfüllen (§ 99a Abs. 1 MStV). Anbieter betroffener Dienste könnten die neuen Vorgaben etwa umsetzen, indem sie einen „Barrierefreiheit“-Button, ähnlich dem Verweis auf datenschutzrechtliche Vorgaben, auf der (Start-)Seite des Dienstes implementieren. Die Angaben müssen eine allgemeine Beschreibung des Dienstes, eine Beschreibung und Erläuterung, die zur Nutzung dieses Dienstes erforderlich ist, sowie die zuständige Landesmedienanstalt (§ 99c Abs. 2 Satz 1 MStV) enthalten.
3. Neue und konkretisierte Vorgaben an die Barrierefreiheit von Rundfunkprogrammen
a) Ausweitung des Umfangs barrierefreier Angebote
Bereits vor Inkrafttreten des zweiten Medienänderungsstaatsvertrags waren Veranstalter bundesweit ausgerichteter Rundfunkprogramme (die Rundfunkanstalten der ARD, das ZDF, Deutschlandradio und private Rundfunkveranstalter) verpflichtet, im Rahmen der technischen und ihrer finanziellen Möglichkeiten barrierefreie Angebote aufzunehmen und den Umfang solcher Angebote stetig und schrittweise auszuweiten (§ 7 Abs. 1 MStV). Nach der Novellierung ist bei der Umsetzung dieser Vorgabe „den Belangen von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen Rechnung zu tragen“, etwa durch Gebärdensprache, Untertitelung oder eine Audiobeschreibung, aber auch durch die Bereitstellung von Angeboten in Leichter Sprache (so die Gesetzesbegründung in Bayerischer LT, Drs. 18/22292, S. 14).
b) Erweiterung und Konkretisierung von Berichtspflichten
Ebenfalls bereits vor Inkrafttreten des zweiten Medienänderungsstaatsvertrags waren die Veranstalter bundesweit ausgerichteter Fernsehprogramme nach § 7 Abs. 2 Satz 1 MStV verpflichtet, ihren jeweiligen Aufsichtsgremien bzw. der zuständigen Landesmedienanstalt mindestens alle drei Jahre Bericht zu erstatten über die getroffenen Maßnahmen zur Aufnahme und Ausweitung barrierefreier Angebote im Programm. Dieser Bericht (künftig „Aktionsplan“, vgl. § 7 Abs. 1 MStV) soll nun auch Angaben über zukünftige Maßnahmen und die Verbindlichkeit geplanter Maßnahmen enthalten. Neu ist zudem die Vorgabe, nach Maßgabe des Landesrechts verbreitete Verlautbarungen öffentlicher Stellen barrierefrei zu gestalten (§ 7 Abs. 3 MStV).
4. Praxishinweise und drohende Rechtsfolgen bei Verstößen
Die Vorgaben an Intermediäre, Benutzeroberflächen und Medienplattformen aus § 99a ff. MStV gelten, sofern diese Dienste für den Verbraucher nach dem 27. Juni 2025 angeboten oder erbracht werden. Vor diesem Stichtag angebotene Dienste können in einer Übergangsphase bis zum 27. Juni 2030 weiterhin in unveränderter Gestalt rechtmäßig erbracht werden (§ 121a MStV). Anbietern von Intermediären, Benutzeroberflächen und Medienplattformen ist gleichwohl geraten, die Umsetzung der neuen Vorgaben zügig anzugehen. Sie haben nicht nur zu prüfen, welche Barrieren den Zugang und die Nutzung des Dienstes durch Menschen mit Behinderung erschweren. Sie haben auch Lösungen zu entwickeln, die dem Abbau dieser Barrieren dienen und entsprechende Instrumente in ihren Dienst zu implementieren. Dies wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch die fachliche Unterstützung durch IT-Experten und Software-Entwickler erfordern.
Ein Verstoß gegen § 99a Abs. 1 bis 3 MStV begründet (auch im Falle eines fahrlässigen Handelns) eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße von bis zu 500.000 Euro geahndet werden kann (§ 115 Abs. 1 Satz 2 Nr. 47a bis Nr. 47c, Abs. 2 MStV). Die zuständige Landesmedienanstalt kann daneben die erforderlichen Maßnahmen treffen, die auch in einer Untersagung oder Sperrung des Dienstes liegen können (§ 109 Abs. 1 MStV). Der Verbraucher kann zudem selbst bei der zuständigen Landesmedienanstalt die Umsetzung entsprechender Maßnahmen beantragen (§ 99d Abs. 1 MStV). Sollte es sich bei den Vorgaben aus § 99a Abs. 1 bis 3 MStV um Marktverhaltensregeln handeln, droht zudem die Inanspruchnahme der Rechte aus dem UWG (Abmahnung, Beseitigung, Unterlassung, Schadensersatz) durch Mitbewerber.
Keine Übergangsregelung gilt für die neuen Vorgaben an die Berichtspflicht von Rundfunkveranstaltern in § 7 Abs. 2 MStV. Ein Verstoß begründet zudem auch hier bereits im Falle eines fahrlässigen Handelns eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße von bis zu 500.000 Euro geahndet werden kann (§ 115 Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 2 MStV). Die Landesmedienanstalt kann zudem wiederum die erforderlichen Maßnahmen treffen (§ 109 Abs. 1 MStV).