New York: Anti-SLAPP-Abweisung einer Verleumdungsklage gegen Verleger – Vorbild für Europa?

von am 10. März 2022

Der New York Supreme Court hat mit Urteil vom 15. Februar 2022 (Az.: 152192/2021) eine Klage des Bruders der US-Sängerin Mariah Carey gegen die Verleger ihrer Memoiren („The Meaning of Mariah Carey“) auf der Grundlage des kürzlich in Kraft getretenen Anti-SLAPP-Gesetzes des Bundesstaats New York abgewiesen.


Was sind SLAPP-Klagen?

SLAPP-Klagen (Strategic Lawsuits against Public Participation) sind strategische Klagen, die tendenziell aussichtlos sind und das Ziel verfolgen, die verklagten Journalisten, Verleger oder NGOs einzuschüchtern und an ihrer eigentlichen Arbeit zu hindern. Die Anti-SLAPP-Vorschrift des Bundesstaats New York (Art. 70a Civil Rights Law) versteht darunter „Klagen, die allein zu dem Zweck eingeleitet oder fortgesetzt werden, um zu belästigen, einzuschüchtern, zu bestrafen oder anderweitig die freie Ausübung des Rede-, Petitions- oder Vereinigungsrecht böswillig zu behindern“.

Während es in Europa erste Gesetzgebungsbemühungen gibt, SLAPP-Klagen frühzeitig zu erkennen und ihrer Geltendmachung einen Riegel vorzuschieben, haben mehrere US-Bundesstaaten bereits entsprechende Anti-SLAPP-Gesetze erlassen. Danach kann der Beklagte etwa nach der entsprechenden Vorschrift in New York – wenn nachgewiesen ist, dass es sich um eine SLAPP-Klage handelt – neben der Abweisung der Klage vom Kläger auch Schadensersatz, die Erstattung von Kosten und Anwaltshonoraren sowie Strafschadensersatz fordern.


Der Fall – Morgan Carey vs. Mariah Carey und ihre Verleger

In einem der – soweit ersichtlich – ersten Fälle hat jetzt der New Yorker Supreme Court die entsprechende Anti-SLAPP-Vorschrift des Bundesstaats New York (Art. 70a Civil Rights Law) angewendet und die Verleumdungsklage von Morgan Carey abgewiesen. Er hat behauptet, seine Schwester Mariah Carey habe ihn in ihrem Buch verleumdet, da sie ihn als gewalttätig dargestellt und angedeutet habe, dass er Verbrechen begangen habe. Zudem macht er Schadensersatz gegen sie und ihre Verleger geltend, da ein Filmproduzent nach Erscheinen des Buches die Verhandlungen über ein von Morgan Carey mit seiner Ehefrau geschriebenes Drehbuch beendet habe.

Nach der Systematik der New Yorker Anti-SLAPP-Vorschrift müssen die Beklagten – hier also Mariah Carey und ihre Verleger – nachweisen, dass an dem Gegenstand ihrer Veröffentlichung ein öffentliches Informationsinteresse besteht. Dieses hat das New Yorker Gericht unter Berufung auf andere Entscheidungen weit ausgelegt und festgestellt, dass eine Angelegenheit nicht von öffentlichem Interesse ist, wenn sie „bloßen Klatsch und lüsternes Interesse“ darstellt, der Umfang des Berichtsgegenstands, der als öffentliches Interesse angesehen werden kann, aber in äußerst liberaler und weitreichender Weise zu definieren ist. Danach besteht an den Memoiren der Sängerin nach Ansicht der Richter ein öffentliches Interesse, da es neben den Stationen ihrer öffentlichen Karriere auch um Themen wie häusliche Gewalt und Kindesmissbrauch gehe, die ein legitimes öffentliches Interesse rechtfertigten.

Gelingt der Nachweis des öffentlichen Interesses – wie hier –, geht die Beweislast, dass es sich nicht um eine SLAPP-Klage handelt, auf den Kläger über. Entsprechend formuliert der New Yorker Supreme Court: „CLPR (Civil Practice Law and Rules) 3211 (g) regelt Anträge auf Abweisung strategischer Klagen gegen die Öffentlichkeitsbeteiligung, bekannt unter dem Akronym SLAPP. Wenn der Beklagte bei einem Antrag gemäß CPLR 3211 (a) nachweist, dass es sich um eine öffentliche Petition und Beteiligung handelt, geht die Beweislast auf den Kläger über, der nachweisen muss, dass „der Klagegrund eine wesentliche Rechtsgrundlage hat (CLPR 3211 [g] [1])“.

Da Morgan Carey nicht nachweisen konnte, dass seine Klage auf einer soliden Rechtsgrundlage beruht und vor allem den von ihm vorgetragenen Schaden und die Kausalität durch die Äußerungen in dem Buch (Beendigung der Gespräche durch den Filmhersteller nach Erscheinen des Buches) nicht plausibilisieren konnte, wies das Gericht seine Klage gegen die Verleger unter Berufung auf die Anti-SLAPP-Vorschrift des Art. 70a Civil Rights Law vollständig und gegen Mariah Carey in überwiegendem Maße ab.


Geplante EU-Gesetzgebung zum Schutz gegen SLAPP-Klagen

Auch die Europäische Kommission plant gesetzgeberische Maßnahmen zum Schutz gegen SLAPP-Klagen. Als Auslöser gilt hier die Ermordung der Journalistin Daphne Caruana Galizia im Jahr 2017 auf Malta. Die Journalistin wollte Korruption in Malta aufdecken und soll Beklagte von 47 Einschüchterungsklagen gewesen sein. Unter dem Titel „EU-Maßnahmen zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsverteidigern gegen missbräuchliche Gerichtsverfahren (SLAPP-Klagen)“ hat die EU-Kommission vom 4. Oktober 2021 bis zum 10. Januar 2022 eine öffentliche Konsultation durchgeführt, deren Ergebnisse sie derzeit auswertet. Für das zweite Quartal 2022 ist der Entwurf einer EU-Maßnahme, voraussichtlich ein Richtlinien-Entwurf, angekündigt. Einzelheiten der geplanten Maßnahme sind noch nicht bekannt.


Ausblick

Eine gesetzliche Regelung zum Schutz vor SLAPP-Klagen ist grundsätzlich wünschenswert. Das Hauptziel sollte dabei eine schnelle Klageabweisung sein, denn wenn eine solche Klage nach vielen Jahren und enormem Aufwand scheitert, hat der SLAPP-Kläger sein Ziel erreicht – der oder die Beklagte hatte hohe Kosten und eine langwährende Belastung.

Eine Anti-SLAPP-Regelung sollte aber wohlüberlegt sein, denn sie darf nicht dazu führen, dass Rechtssuchenden der Zugang zu den Gerichten verwehrt oder erschwert wird. Das Hauptproblem dabei ist die Identifizierung von SLAPP-Klagen: Selten ist zu erkennen, ob der Kläger mit seiner Klage in legitimer Weise seine Ansprüche verfolgt oder ob er die Klage nur zur Einschüchterung seines Gegenübers erhebt. Klare Indizien für das Vorliegen einer SLAPP-Klage können zum Beispiel eine Vielzahl von gleichartigen oder ähnlichen Klagen gegen einen Beklagten – 1.400 Obstbauern aus Südtirol hatten einen Münchner Umweltaktivisten verklagt, weil er 2017 auf die Pestizid-Belastung der Äpfel hingewiesen hatte – oder die Erhebung einer ungeheuren Forderung auf einem sehr rudimentären Sachverhalt – so etwa die 2016 erhobene 78,5 Millionen Euro-Klage eines Unternehmers gegen die Süddeutsche Zeitung wegen einiger Äußerungen in einem Zeitungsartikel – sein.

Zur Abschreckung von SLAPP-Klägern könnte man im deutschen Recht etwa daran denken, die Hinweispflicht in § 139 ZPO dergestalt zu modifizieren, dass das Gericht bei Indizien für eine Missbräuchlichkeit der Klage frühzeitig einen entsprechenden Hinweis erteilt und der Kläger daraufhin in einem vorgeschalteten Verfahren eine solide Rechtsgrundlage – zum Beispiel den von ihm behaupteten Schaden – nachweisen muss, bevor auf die Klage zu erwidern ist. Flankiert werden könnte dies durch die Etablierung von Gegenansprüchen des Beklagten nach dem Vorbild von Art. 70a Civil Rights Law New York, die über die reine Kostenerstattung hinausgehen und so etwa auch Schadensersatzansprüche vorsehen.

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