Nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster an Teilen von Erzeugnissen ohne gesonderte Offenbarung

von am 23. Februar 2022

Wenn Abbildungen eines Erzeugnisses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, kann dies bedeuten, dass auch Geschmacksmuster an Teilen dieser Erzeugnisse oder Bauelementen dieser Erzeugnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

Sachverhalt

Am 2. Dezember 2014 stellte die Ferrari SpA („Ferrari“) erstmals ihr neues Modell „FXX K“ vor. Dazu veröffentlichte sie eine Pressemitteilung, die zwei Fotografien des Modells enthielt: Eine Seiten- sowie eine Frontansicht. Ein Merkmal des „FXX K“ ist ein V-förmiges Element auf der Fronthaube, das wahlweise schwarz, mit Ausnahme der unteren Spitze, oder vollständig schwarz lackiert ist.

Die Beklagte, ein Hersteller von Tuning-Bausätzen, bietet seit 2016 Tuning-Bausätze an, mit denen die Erscheinungsform eines anderen Ferrari-Modells so verändert werden kann, dass sie dem „FXX K“ nahekommt. Dazu vertreibt sie insbesondere Front-Kits, die beide „V“-Varianten des Modells „FXX K“ widerspiegeln.

Ferrari klagte u. a. wegen der angeblichen Verletzung von Rechten aus einem nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster, bestehend aus dem folgenden Teilbereich des Modells „FXX K“:

  • V-förmiges Element auf Fronthaube
  • „Strake“, d. h. mittig herausragendes, in Längsrichtung angeordnetes, flossenartiges Element
  • In der Stoßstange integrierter, zweischichtiger Frontspoiler
  • Mittig vertikaler Verbindungssteg, der Frontspoiler und Fronthaube verbindet

Dieser Bereich sei eine Einheit, die die individuellen „Gesichtszüge“ des Fahrzeugs bestimme.

In den Vorinstanzen wiesen das LG Düsseldorf die Klage ab und das OLG Düsseldorf die Berufung zurück. Der BGH hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH folgende zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

    • 1. Können durch die Offenbarung einer Gesamtabbildung eines Erzeugnisses […] nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster an einzelnen Teilen des Erzeugnisses entstehen?
    • 2. Für den Fall, dass die Frage 1 bejaht wird:
    • Welcher rechtliche Maßstab ist im Rahmen der Prüfung der Eigenart […] bei der Ermittlung des Gesamteindrucks im Falle eines Bauelements anzulegen, das – wie etwa ein Teil einer Fahrzeugkarosserie – in ein komplexes Erzeugnis eingefügt wird? Darf insbesondere darauf abgestellt werden, ob die Erscheinungsform des Bauelements in der Wahrnehmung des informierten Benutzers nicht vollständig in der Erscheinungsform des komplexen Erzeugnisses untergeht, sondern eine gewisse Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form aufweist, die es ermöglicht, einen von der Gesamtform unabhängigen ästhetischen Gesamteindruck festzustellen?

Entscheidung

Der EuGH hat die Fragen zusammen geprüft und zunächst entschieden, dass, wenn Abbildungen eines Erzeugnisses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, dies dazu führt, dass auch ein Geschmacksmuster an einem Teil dieses Erzeugnisses oder an einem Bauelement dieses Erzeugnisses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.

Voraussetzung dafür sei, dass die Erscheinungsform des Teils oder Bauelements bei der Offenbarung eindeutig erkennbar ist. Die Merkmale des Teils (oder des Bauelements) des Erzeugnisses, für den das Geschmacksmuster beansprucht wird, müssen klar sichtbar sein. Dazu müsse jedoch gerade nicht jedes einzelne Teil des Erzeugnisses gesondert offenbart werden.

Des Weiteren müsse es für die Beurteilung der Frage, ob das beanspruchte Geschmacksmuster die materielle Voraussetzung der „Eigenart“ erfüllt, möglich sein, dieses mit einem oder mehreren Geschmacksmustern zu vergleichen. Daher sei eine Abbildung erforderlich, auf der das beanspruchte Geschmacksmuster präzise und sicher zu erkennen ist.

Der jeweilige Teil müsse daher einen sichtbaren Teilbereich des Erzeugnisses darstellen, der durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur klar abgegrenzt ist, und die Erscheinungsform des Teils müsse geeignet sein, selbst einen „Gesamteindruck“ hervorzurufen. Er dürfe daher nicht vollständig im Gesamterzeugnis untergehen.

Praxishinweis

Durch das Urteil des EuGH wird der Schutz von nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern erheblich erweitert. Bei eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern sind einzelne Teile eines Gesamterzeugnisses zugunsten der Rechtssicherheit gerade nicht geschützt. Laut EuGH werde das geringere Maß an Rechtssicherheit im Hinblick auf nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster aber durch die kürzere Schutzdauer sowie den Umstand, dass ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster nur im Fall einer Nachahmung verletzt sei, kompensiert.

Das Urteil des EuGH ist hier abrufbar.

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