„Nie wieder keine Ahnung“ zum Zweiten – crossmediale Wirkung des Werktitelschutzes
LG Stuttgart, Urteil vom 24.01.2023, Az. 17 O 122/22
Schon wieder „Nie wieder keine Ahnung“? In einer aktuellen Entscheidung hat sich das LG Stuttgart mit der crossmedialen Reichweite des Werktitelschutzes befasst. Dabei hat es ausdrücklich entgegen der Ansicht des OLG Frankfurt a.M. entschieden, das zuvor in gleicher Sache der Klägerin einstweiligen Rechtsschutz gegenüber der Beklagten versagt hat (OLG Frankfurt, Beschluss vom 11.01.2022, 6 W 102/21).
Sachverhalt
Die Klägerin, der SWR, meldete im Jahr 2009 im Titelschutzanzeiger die Nutzung des Werktitels „Nie wieder keine Ahnung“ an. In der Folgezeit produzierte sie eine Anzahl TV-Episoden, die unter dem Zeichen „Nie wieder keine Ahnung – Malerei“ bzw. dem Zeichen „Nie wieder keine Ahnung – Architektur“ in den Jahren 2009 und 2011 im ARD Fernsehen zur Erstausstrahlung kamen. Die Episoden waren und sind daneben einerseits in der ARD Mediathek zum Abruf verfügbar, insbesondere aber auch auf der von SWR und WDR betriebenen Webseite www.planet-schule.de. Dort waren und sind auch weitergehende Elemente wie Web-Episoden und Zusatzmaterialien zu den Episoden verfügbar.
Die Beklagte, ein Verlagshaus, nutzt das Zeichen „Nie wieder keine Ahnung“ für ein Sachbuch, das auch als E-Book und als Hörbuch vertrieben wird. Sie verteidigte ihre Nutzung insbesondere damit, dass der SWR das Zeichen „Nie wieder keine Ahnung“ gar nicht titelmäßig verwendet hätte – das wäre insbesondere aus der Einbettung und Präsentation der Episoden auf der Webseite www.planet-schule.de ersichtlich. Auch würde eine Verwechslungsgefahr zwischen den Zeichen nicht vorliegen, da es sich um unterschiedliche Werktypen handeln würde: der SWR nutze das Zeichen für TV-Sendungen, die Beklagte hingegen für ein (Hör-)Buch.
Die Entscheidung
Das LG Stuttgart entschied zu Gunsten der Klägerin: es stellte eine Verletzung der Werktitelrechte der Klägerin fest und verurteilte die Beklagte zur Unterlassung der Nutzung des Werktitels, zur Auskunft über Einkünfte und Vertriebswege sowie Einziehung und Vernichtung bereits vertriebener Exemplare des Sachbuchs, sowie zur Leistung von Schadensersatz.
In seiner Begründung hebt das LG Stuttgart darauf ab, dass das durch den SWR genutzte Zeichen „Nie wieder keine Ahnung“ titelfähig ist und auch als Titel einer Sendereihe genutzt wurde und damit gemäß § 5 Abs. 1, Abs. 3 MarkenG geschützt ist. Ohne dies ausdrücklich auszusagen, stellt es hier auf eine werkbezogene Nutzung des Titels in den Episoden ab. In der Tat ist beim Abspielen und Ansehen der Episoden das Zeichen „Nie wieder keine Ahnung“ in einer prägnanten grafischen Gestaltung prominent an einer werktypischen Stelle (ca. 30 Sekunden nach Beginn der Episode) sichtbar. Vor diesem Hintergrund bestünden für das Gericht keine Zweifel an einer titelmäßigen Verwendung als Titel einer Sendereihe von TV-Episoden. Die Einbettung dieser TV-Episoden insbesondere auf der Webseite www.planet-schule.de, auf der einzelne Folgen tatsächlich ohne das Zeichen „Nie wieder keine Ahnung“ zur Auswahl angezeigt werden, ist insofern für das Gericht nicht von Belang.
Nach Ansicht des Gerichts hat die Beklagte das Zeichen „Nie wieder keine Ahnung“ auch in einer Weise genutzt, die die Werktitelrechte der Klägerin verletzen. Das Gericht geht insofern nach Abwägung der maßgeblichen, in Wechselwirkung stehenden Kriterien von einer Verwechslungsgefahr aus: einerseits ist das prioritätsältere Zeichen der Klägerin jedenfalls hinreichend kennzeichnungskräftig, andererseits liegt nicht nur eine Ähnlichkeit, sondern gar Identität der Zeichen der Klägerin und der Beklagten vor.
Dritter Faktor der Abwägung ist der Werktypus der sich gegenüberstehenden Werke. Diese waren im Fall gerade nicht gleich: das Werk des SWR ist eine TV-Sendereihe, das Werk des Verlages ein Buch. Nach Ansicht des LG Stuttgart ist der Unterschied im Werktypus im Fall unerheblich und steht der Annahme einer Verwechslungsgefahr nicht entgegen. So würden sich Zielgruppen und inhaltliche Thematik der beiden Werke überschneiden und bereits insofern eine Nähe zwischen den Werken herstellen. Vor allem aber würde der Verkehr in Zeiten fortschreitender „Medienkonvergenz“ die crossmediale Auswertung von Titeln kennen und auch erwarten. Es wäre ein dem Verkehr bekanntes Muster, dass es ein „Buch zum Film“ oder ein „Spiel zur TV Sendung“ geben würde, so dass für den Verkehr eine Verwechslungsgefahr zwischen dem Titel der TV-Episoden des SWR und dem Buchtitel des Verlags bestehen würde.
Mit anderen Worten: das LG Stuttgart geht – anders als das OLG Frankfurt a.M.! – von einer crossmedialen Wirkung des Werktitelschutzes von „Nie wieder keine Ahnung“ aus.
Unsere Meinung
Auch wenn der Sachverhalt auf den ersten Blick eindeutig für den SWR zu sprechen scheint, kann man das Urteil durchaus auch kritisch sehen. Es ist fraglich, ob das LG Stuttgart den Schutzbereich des Werktitelrechts nicht überdehnt.
Ein Werktitel ist keine Marke. Anders als eine Marke, der verschiedene Schutzfunktionen zukommen (darunter insbesondere die „Herkunftsfunktion“), schützt der Werktitel im Grundsatz nur die Identität eines Werkes. Er schützt und ermöglicht die inhaltliche Abgrenzung und Unterscheidung eines Werkes zu anderen Werken, also vor einer inhaltsbezogenen Verwechslungsgefahr. Allerdings bezieht sich die Identität eines Werks im Kern gedanklich stets auf einen konkreten Werktypus – ein Buch ist eben kein Film, Inhalte von gedrucktem und audiovisuellem Content sind zwangsläufig nicht „identisch“. Je weiter man sich von einer streng inhaltsbezogenen Wirkung des Werktitelschutzes entfernt, desto mehr erkennt man dem Werktitel auch einen Schutz vor herkunftsbezogenen Verwechslungen zu. Nun ist anerkannt, dass auch Werktiteln im Einzelfall auch ein rein herkunftsbezogener Schutz zukommen kann. Ein solcher erfordert jedoch regelmäßig, dass der prioritätsältere Werktitel eine hohe Kennzeichnungskraft hat, seriell genutzt wurde und als solcher Serientitel im Verkehr derart bekannt ist, dass der ältere Titel gerade in seiner crossmedialen Nutzung wiedererkannt und ihm entsprechende Wirkung für den anderen Werktypus zugestanden wird.
Auch im vorliegenden Fall ging es nicht darum, dass der Verkehr im Buch der Beklagten den identischen Inhalt wie in den TV-Episoden der Klägerin erwarten würde. Sondern darum, dass das Buch der Beklagten in einem organisatorischen Zusammenhang mit den TV-Episoden der Klägerin steht – es ging also um eine Verwechslung der Herkunft, nicht des Inhalts. Die Begründung des LG Stuttgart, dass eine solche Verwechslungsgefahr vorliegt, erscheint insofern lapidar: es ist zwar richtig, dass der Verkehr eine crossmediale Auswertung von Marken kennt – Merchandising-Auswertungen in Form eines „Buchs zum Film“ und „Spiels zur TV-Sendung“ sind in der Tat gang und gäbe. Nur sind diese Auswertungen dann regelmäßig durch Marken in den einschlägigen Klassen geschützt. Ob man mit dem LG Stuttgart diese Betrachtung aufgrund der „Medienkonvergenz“ ohne weiteres in das Werktitelrecht übertragen kann erscheint diskutabel. Denn wie gesagt: ein Werktitel ist keine Marke.
Dass man durchaus eine andere Sichtweise einnehmen kann, zeigt das OLG Frankfurt a.M., das in gleicher Sache den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Verlag abgelehnt hat. Daher wird der vor dem LG Stuttgart unterlegene Verlag den Prozess jedenfalls weiterführen. Es bleibt abzuwarten, wie die Sache in höheren Instanzen entschieden werden wird.
Praxishinweis
Auch wenn eine (potentielle) crossmediale Wirkung des Werktitelschutzes durchaus allgemein anerkannt ist, hat das LG Stuttgart die Anforderungen im vorliegenden Fall erstaunlich niedrig angesetzt. Ob diese Ansicht von höheren Instanzen bestätigt wird, wird sich zeigen.
Ungeachtet des Ausgangs sollten alle Nutzer von Werktiteln – also letztlich alle Kreativen und alle Verwerter – dieses Verfahren als Warnung verstehen und nicht auf die leichte Schulter nehmen: die Wirkung eines Titels kann crossmedial auf andere Werktypen ausstrahlen. Ein z.B. für ein Buch bestehender Werktitelschutz kann Auswirkungen auf die Nutzungsmöglichkeit des Titels für Filme, TV-Sendungen oder andere Werktypen haben – und umgekehrt. Besteht aber ein Werktitelschutz und wird dieser verletzt, dann können die Konsequenzen gravierend sein: die Unterlassung der Nutzung steht ebenso im Raum, wie eine Verpflichtung zur Auskunft über Einkünfte, zur Leistung von Schadensersatz sowie zur Einziehung und Vernichtung bereits vertriebener Werkexemplare möglich ist.
Angesichts dieser drastischen potenziellen Konsequenzen empfiehlt sich für alle Kreativen und alle Verwerter, vor der Entscheidung für einen konkreten Titel stets eine sachgerechte Titelrecherche durchzuführen und zu ermitteln, ob der gewünschte Titel nicht doch schon für Dritte geschützt ist. Dabei helfen wir gerne.