Rechteinhaber aufgepasst! Neue Regeln für die Verbreitung digitaler Inhalte auf YouTube&Co.

von am 15. Februar 2021

Das Jahr 2021 wird deutliche Änderungen der Rechtslage für Rechteinhaber und Online-Plattformen bringen. Das gilt insbesondere für die sogenannten UGC-Plattformen, also alle Plattformen auf denen „User-generated Content“ – von Nutzern hochgeladene Inhalte – verbreitet werden, wie z.B. YouTube, Reddit, TikTok, Scribd, ResearchGate, etc.

Eine Vergangenheit voller Auseinandersetzungen
In den vergangenen Jahren haben sich die Geschäftsmodelle von UGC-Plattformen – allesamt noch keine 20 Jahre auf dem Markt – äußerst gut entwickelt: Nutzerzahlen sind geradezu explodiert. Leider geschah das sehr häufig auf Kosten der Rechteinhaber, denn die Uploads erfolgten nicht selten ohne Erlaubnis und verletzten die Rechtspositionen der Rechteinhaber. Es überrascht nicht, dass Rechteinhaber, wie Verlage und Filmproduzenten, sich hiergegen zur Wehr gesetzt haben. Sie gingen gegen illegale, unlizenzierte Uploads vor oder versuchten zumindest an den Einnahmen der Uploader zu partizipieren.

Da der technische Upload dieser UGC-Inhalte meist von anonymen und darüber hinaus weltweit verstreuten Nutzern ausgeht, standen Rechteinhaber und Gerichte vor der Herausforderung, eine geeignete Rechtsgrundlage zu finden, um die Plattformen direkt für die auf ihren Diensten stattfindenden Urheberrechtsverletzungen haftbar zu machen. Zur Lösung des Problems hat die deutsche Rechtsprechung in einem ersten Schritt das Konzept der „Störerhaftung“, einer Art Vermittlerhaftung, entwickelt. Dieses Konzept verlagert jedoch die Last, UGC-Plattformen zu überwachen und illegale Inhalte zu identifizieren, auf die Rechteinhaber. Ein Systembruch im Urheberrecht, welches durch das Prinzip „erst fragen, dann nutzen“ bestimmt wird. Darüber hinaus sind es die Plattformbetreiber, die die Kontrolle über ihre UGC-Plattformen haben: Sie haben den technischen Einblick und die technischen Möglichkeiten verfügbare Inhalte zu identifizieren, und sie haben die Option ihre Nutzer richtig anzuleiten und zu informieren, wie Rechtsverletzungen vermieden werden können.

Zur Klärung der Frage, wann UGC-Plattformen unmittelbar – und nicht nur mittelbar als Störer – für Rechtsverstöße haften, und damit zur Zahlung von Schadensersatz an die Rechteinhaber für die rechtswidrige Nutzung ihrer Inhalte verpflichtet sind, sind derzeit zwei Fälle beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anhängig: Peterson vs. YouTube (C-682/18) und Elsevier vs. Uploaded (C-683/18). Beide Fälle wurden vom Gericht zu einer gemeinsamen Entscheidung verbunden, die voraussichtlich im Frühjahr 2021 ergehen wird. Es scheint nun so, als könnte diese Entscheidung, die endlich Orientierungshilfe zu der Frage geben sollte, unter welchen Umständen UGC-Plattformen direkt für Urheberrechtsverletzungen ihrer Nutzer haften, zum Zeitpunkt des Urteils bereits überholt sein.

Neue Gesetzgebung durch den europäischen Gesetzgeber
Während die beiden genannten Fälle, die bereits seit 2014 anhängig sind, ihren Weg durch die Instanzen der deutschen Gerichte bis zum EuGH nahmen, arbeitete die EU an einem neuen Rechtsrahmen für den Urheberrechtsschutz im digitalen Zeitalter, der auch neue Regeln zur Plattformhaftung vorsieht: die „DSM Richtlinie“ (Richtlinie (EU) 2019/7901) die am 17. April 2019 in Kraft getreten ist und von den Mitgliedstaaten bis zum 7. Juni 2021 umgesetzt werden (gemäß Artikel 29 DSM-Richtlinie) muss. Artikel 17 dieser Richtlinie sieht nun grundsätzlich eine Haftung der Plattformen vor, aber auch eine enge Zusammenarbeit zwischen Plattformen und Rechteinhabern.

Unterschiedliche Umsetzung in den Mitgliedsstaaten
Derzeit erfolgt in allen Mitgliedstaaten die erforderliche Umsetzung der DSM-Richtlinie in nationales Recht. Während einige Mitgliedstaaten wie Frankreich oder die Niederlande beschlossen haben, die Richtlinie nahezu wörtlich in nationales Recht zu überführen, schlagen andere Mitgliedstaaten einen eigenen Weg ein. Der Gesetzesentwurf, mit dem zum Beispiel Deutschland die Richtlinie umzusetzen plant, weicht vom Wortlaut der Richtlinie unter Berufung auf (vermeintliche) Lücken in der europäischen Richtlinie bewusst ab und kann damit die Auswirkungen für Plattformen und ihre Nutzer verändern. Die Folgen solcher unterschiedlichen nationalen Umsetzung der Richtlinie könnten in der Praxis erheblich sein.

Nachfolgend einige Beispiele für die Unterschiede zwischen Artikel 17 der EU-Richtlinie und dem geplanten aktuellen Entwurf des deutschen Umsetzungsgesetzes („UrhDaG-E“).

Wer muss aktiv werden?
Artikel 17 der DSM-Richtlinie verpflichtet Plattformen, sich „nach besten Kräften“ um eine Genehmigung der Rechteinhaber zu bemühen, z. B. durch Abschluss eines Lizenzvertrags (Artikel 17 Absatz 1 Unterabsatz 2, Absatz 4a).

Der deutsche Vorschlag fügt jedoch hinzu, dass dieses Erfordernis bereits als erfüllt gilt, wenn die Plattform entweder lediglich darauf wartet, dass die Rechteinhaber ein Angebot abgeben oder Rechte von einem „dem Dienst bekannten repräsentativen Rechteinhaber“ bzw. einer Verwertungsgesellschaft einholt. Wird dieser Vorschlag verbindliches Recht, bedeutet dies, dass Plattformen auch weiterhin weitgehend passiv bleiben können. Es wird nach wie vor in den meisten Fällen am Rechteinhaber sein, aktiv zu werden: er muss das Internet und die Nutzung seiner Inhalte überwachen und Plattformen aktiv Lizenzen anbieten oder – falls er „repräsentative Rechteinhaber“ ist – sich dem Dienst zumindest bekannt machen.

Welchen Umfang muss eine Lizenz haben?
Artikel 17 der DSM-Richtlinie macht keine Aussage über den Umfang der Rechte, die von den Rechteinhabern an Plattformen eingeräumt werden können (und müssen), und überlässt diesen Punkt dem Ermessen der Rechteinhaber.

Der deutsche Entwurf – genauer gesagt § 4 Absatz 2 UrhDaG-E – fügt auch hier weitere Anforderungen hinzu: Danach müssen Nutzungsrechte

1.  für Inhalte gelten, die der Diensteanbieter ihrer Art nach offensichtlich in mehr als geringfügigen Mengen öffentlich wiedergibt,
2.  in Bezug auf Werke und Rechtsinhaber ein erhebliches Repertoire umfassen,
3.  den räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes (also Deutschland) abdecken und
4.  die Nutzung zu angemessenen Bedingungen ermöglichen.

Insbesondere das zweite Erfordernis schließt de facto alle Rechteinhaber aus, die nicht über ein „erhebliches Repertoire“ verfügen. Wird der Vorschlag verbindliches Recht, werden die Möglichkeiten kleinerer Rechteinhaber erheblich eingeschränkt und können zu einer Verlagerung hin zur kollektiven Lizenzierung führen, die die Rechte der Kreativen, ihr eigenes Werk zu kontrollieren und zu verwerten, erheblich einschränkt.

Wie können Inhalte gesperrt werden?
Soweit eine Plattform keine Lizenz an dem fraglichen Inhalt erwerben kann, muss sie die betroffenen Inhalte unter bestimmten Bedingungen sperren: Artikel 17 Absatz 4b der DSM-Richtlinie verpflichtet Plattformen dazu nachzuweisen, dass sie „nach  Maßgabe  hoher  branchenüblicher  Standards  für  die  berufliche Sorgfalt alle Anstrengungen unternommen hat, um sicherzustellen, dass  bestimmte  Werke  und sonstige Schutzgegenstände, zu denen die Rechteinhaber den Anbietern dieser Dienste  einschlägige  und  notwendige  Informationen  bereitgestellt  haben,  nicht  verfügbar  sind“.

Auch hier modifiziert der deutsche Gesetzgeber das europäische Bemühen, indem er zwar in § 7 UrhDaG-E eine „qualifizierte Blockierung“ verlangt, also „bestmöglich sicherzustellen, dass ein Werk nicht öffentlich wiedergegeben wird und hierfür auch künftig nicht verfügbar ist, sobald der Rechtsinhaber dies verlangt und die hierfür erforderlichen Informationen zur Verfügung stellt“, diese Möglichkeit aber dadurch einschränkt, dass Nutzer ihre Uploads nach § 11 (1) 3. UrhDaG-E als „erlaubt“ kennzeichnen können. Soweit die Sperrung durch den Rechteinhaber erst nach dem Hochladen beantragt wird, soll der beanstandete Inhalt sogar 48 Stunden auf der Plattform verbleiben müssen. In dieser Zeit können Inhalte millionenfach geteilt werden. Der vorgesehene Rechtsschutz wird ausgehöhlt.

Neue Ausnahmen und Annahmen?
Erstaunlicherweise hat der deutsche Gesetzgeber darüber hinaus Ausnahmen von den Sperrpflichten ersonnen – ohne dass solche Ausnahmen eine Grundlage in der DSM-Richtlinie hätten.

Der deutsche Gesetzentwurf geht in § 9 UrhDaG-E davon aus, dass eine bestimmte Art der Nutzung „mutmaßlich erlaubt“ ist, wenn für nutzergenerierte Inhalte

– weniger als die Hälfte eines Werkes eines Dritten oder mehrere Werke Dritter enthalten,
– die Werkteile mit anderem Inhalt kombinieren und
– Werke Dritter nur „geringfügig“ nutzen oder durch die Nutzer als gesetzlich erlaubt gekennzeichnet sind.

§ 10 UrhDaG-E legt fest, dass folgende nicht (oder nahezu nicht) kommerzielle Nutzungen als „geringfügige Nutzung“ gelten:

– 15 Sekunden eines Films,
– 15 Sekunden eines Tons,
– 160 Zeichen eines Textes, und
– Fotos oder Grafiken von bis zu 125 KB.

Obwohl diese Schwellen im Zuge der Ausarbeitung des Gesetzesentwurfs reduziert wurden, stellen diese Ausnahmen einen tiefen Eingriff in die Rechtsposition der Rechteinhaber dar, für den sich keine Grundlage im europäischen Recht findet.

Beschwerden, Flaggen und Rote Knöpfe?
In der DSM-Richtlinie hat sich der europäische Gesetzgeber nicht genauer mit den dort verlangten Beschwerde- und Rechtsbehelfsmechanismen befasst.

Der deutsche Vorschlag sieht dagegen schon genauere Regeln vor: Im Falle einer „geringfügigen Nutzung“ oder wenn der Inhalt „als gesetzlich erlaubt gekennzeichnet“  ist (sog. „flagging“), muss der Inhalt, der einem automatisierten Sperrverfahren unterliegt, zunächst bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens zwischen Uploader und Rechteinhaber online bleiben (§ 9 Absatz 1 UrhDaG-E). Allerdings bleibt „vertrauenswürdigen Rechteinhabern“, die Möglichkeit die Vermutung der rechtmäßigen Nutzung mit Hilfe einer „natürlichen Person“ zu widerlegen (sog. „red button“ in § 14 Absatz 4 UrhDaG-E).

Wie sollten sich Rechteinhaber vorbereiten?
Noch muss der Gesetzesentwurf Bundestag und Bundesrat passieren. Wie aber auch immer der endgültige Wortlaut der nationalen Gesetzgebungen am 7. Juni 2021 lauten wird, eines ist klar: Um urheberrechtlich geschützte Werke davor zu bewahren, ohne Lizenz über Plattformen wie YouTube verwertet zu werden, brauchen die Rechteinhaber eine gut gepflegtes und gut nutzbares Rechtemanagement. Nur dann werden sie die „relevanten und notwendigen Informationen“ zu den Werken, die ihnen gehören kennen, den Plattformen bereitstellen und diese lizenzieren oder zur Sperrung auffordern können.

Was genau unter solchen „relevanten und notwendigen Informationen“ zu verstehen ist, wird im Einzelnen von Branche zu Branche unterschiedlich sein. Grundvoraussetzung wird jedoch immer sein, dass die Informationen ausreichend und geeignet sind, ein bestimmtes Werk zu identifizieren, und sie müssen automatisiert verarbeitet werden können.

Weitere Hinweise – vorallem in technischer Hinsicht – sind von der durch die Europäischen Kommission angekündigte, offizielle „Guidance for Artikel 17“ zu erwarten.

In einigen Branchen wird derzeit das Für und Wider von branchenweiten Standards sowie die Gründung von zentralen oder dezentralen Datenbanken für die genannten Zwecke diskutiert.

Rechteinhaber können sich am Ende in einer Situation wiederfinden, in der sie das Internet überwachen und Plattformen identifizieren müssen, die ihre urheberrechtlich geschützten Werke ohne Lizenz nutzen. Diesen Plattformen müssten Rechteinhaber dann die „relevanten und notwendigen Informationen“ zur Verfügung zu stellen, um das Hochladen oder die Verfügbarkeit solcher Werke zu blockieren. Anschließend wird Rechteinhaber ein Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren erwarten, das sich mit Fragen des Over-Blocking und der Einhaltung der gesetzlichen Ausnahmen befasst. Zudem müssten Rechteinhabern einen Prozess für den Bedienung des „red button“ aufsetzen, um die öffentliche Zugänglichkeit von Rechtsverletzungen möglichst kurz zu halten.

Legal Tech als Retter in der Not?
Es steht außer Frage, dass die UGC-Plattformen Content-Distributoren bleiben und weiter an Popularität gewinnen werden. Damit wird die Massennutzung digitaler Inhalte weiter zunehmen. Diese Macht des Faktischen macht es wahrscheinlich, dass Rechteinhaber für die Kontrolle, den Schutz und die Durchsetzung ihrer Rechtspositionen auf Legal-Tech-Lösungen zurückgreifen werden. Solche Lösungen können ein gut nutzbares Rechtemanagement mit Online-Überwachungs- und Identifizierungstools sowie mit Beschwerde- und Rechtsbehelfsverfahren kombinieren.

Dennoch: auch wenn Legal-Tech potentiell Abhilfe verspricht, werden die Geschäftsmodelle der Rechteinhaber in naher Zukunft erheblichen Veränderungen unterworfen sein. Rechteinhaber, die diese Veränderungen aktiv managen, könnten dies als Chance für die Erschließung neuer Geschäftsfelder begreifen.

Der Blogbeitrag erscheint auf Englisch in der aktuellen Ausgabe des elektronischen Magazines von Media Law International (MLI). MLI veröffentlicht Rechtsratgeber und e-Magazine, die sich ausschließlich auf Medienrecht fokussieren.

 

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