Umfang der Unterlassungspflicht bei Markenverletzungen
Wer nach einer begangenen Rechtsverletzung zur Unterlassung verpflichtet ist, stellt sich des Öfteren die Frage, was getan werden muss, um diese Unterlassungspflicht zu erfüllen. Dies ist vor allem dann von Bedeutung, wenn bei einem Verstoß gegen die Unterlassungspflicht finanzielle Konsequenzen drohen – wie etwa eine Vertragsstrafe nach abgegebener Unterlassungserklärung oder ein Ordnungsgeld nach einem ergangenen Urteil.
Unsicherheit herrscht in diesem Zusammenhang vor allem insoweit, ob Maßnahmen ergriffen werden müssen, um eine fortdauernde Rechtsverletzung durch unabhängige Dritte zu beseitigen. Häufige Beispiele hierfür sind:
- der Weitervertrieb von rechtsverletzenden Produkten durch Vertriebspartner,
- die Löschung von rechtsverletzenden Webseiten aus dem Cache von Google oder anderen Suchmaschinen oder
- die Entfernung von Eintragungen mit rechtsverletzenden Unternehmensnamen in (Online-)Branchenbüchern oder Adressdatenbanken.
Bisherige Rechtsprechung
Insoweit vertritt der BGH in letzter Zeit eine Auffassung, die – im Interesse des Rechteinhabers an einer effektiven Unterbindung der Rechtsverletzung – zu relativ weitgehenden Pflichten des Unterlassungsschuldners führt. In verschiedenen Entscheidungen sind dabei Passagen wie die folgende zu lesen:
„Der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs hat zwar nicht für das selbstständige Handeln Dritter einzustehen. Das entbindet ihn im Rahmen seiner durch Auslegung ermittelten positiven Handlungspflicht aber nicht davon, auf Dritte einzuwirken, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt und bei denen er mit – gegebenenfalls weiteren – Verstößen ernstlich rechnen muss. Der Schuldner ist daher verpflichtet, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auf solche Personen einzuwirken. Mit Blick auf seine Einwirkungsmöglichkeiten auf Dritte kommt es nur darauf an, ob der Schuldner rechtliche oder tatsächliche Einflussmöglichkeiten auf das Verhalten Dritter hat. Es reicht daher aus, wenn ihm eine tatsächliche Einwirkung möglich ist.“
(BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2019, I ZB 19/19 – Diätische Tinnitusbehandlung)
Diese Auffassung vertritt der BGH (teilweise wortgleich) nicht nur für Markenverletzungen, sondern auch für Verletzung anderer Rechte:
- Unternehmenskennzeichen: BGH, Urteil vom 13. November 2013, I ZR 77/12 – Vertragsstrafenklausel
- Urheberrecht: BGH, Urteil vom 18. September 2014, I ZR 76/13 – CT-Paradies
- Wettbewerbsrecht: BGH, Urteil vom 4. Mai 2017, I ZR 208/15 – Luftentfeuchter
- Äußerungsrecht: BGH, Beschluss vom 12. Juli 2018, I ZB 86/17 – Wirbel um Bauschutt
Jedenfalls im Bereich des Markenrechts wird der BGH diese Auffassung jedoch nunmehr schwerlich aufrechterhalten können – wie eine Entscheidung des OLG Düsseldorf (Beschluss vom 13. Oktober 2020, 20 W 71/19) zeigt, das im Lauf des Verfahrens auch den EuGH befragt hatte.
Sachverhalt
Die Anwaltskanzlei „MBK Rechtsanwälte“ machte gegen eine andere Kanzlei („mbk rechtsanwälte“ bzw. „mbk advokaten“) Ansprüche wegen Markenverletzung geltend. Mit (Anerkenntnis-)Urteil vom 17. Oktober 2016 untersagte das LG Düsseldorf der beklagten Kanzlei die Nutzung des Zeichens „mbk“ für das Angebot von Rechtsdienstleistungen.
Die Beklagte änderte darauf ihren Namen in „mk advokaten“ und passte ihre eigene Webseite an. Zudem veranlasste sie die Löschung des von ihr beauftragten Eintrags in „Das Örtliche“. Die Klägerin stellte jedoch dann auch Einträge in weiteren Branchenverzeichnissen und Adressdatenbanken fest. Daher beantragte sie die Verhängung von Ordnungsmitteln gegen die beklagte Kanzlei.
Auf Grundlage der dargestellten Rechtsprechung des BGH verhängte das LG Düsseldorf daraufhin ein Ordnungsgeld gegen die Beklagte: Sie sei auch zur Löschung von nicht selbst in Auftrag gegebenen Eintragungen verpflichtet gewesen. Diese würden ihr wirtschaftlich zugutekommen und beruhten auf der beauftragten Eintragung.
Die Beklagte erhob hiergegen Beschwerde zum OLG Düsseldorf.
Entscheidung
Im Lauf des Verfahrens legte das OLG Düsseldorf dem EuGH (sinngemäß) die Frage vor (Beschluss vom 9. September 2019), ob jemand, der in einem Eintrag auf einer Webseite erwähnt wird, diesen aber nicht selbst veranlasst hat, eine in dem Eintrag enthaltene Marke benutzt. Diese Frage ist auf Grundlage der EU-Markenrechtsrichtlinie (Richtlinie 2008/95/EG) zu beantworten, die das Markenrecht EU-weit harmonisiert.
Der EuGH entschied daraufhin (Beschluss vom 2. Juli 2020, C-684/19 – mk advokaten), dass eine Benutzung einer Marke in einem solchen Fall nicht vorliege, wenn der Betreiber der Webseite die Eintragung auf eigene Initiative und im eigenen Namen übernommen und veröffentlicht habe. Der EuGH begründete seine Entscheidung damit, dass eine Benutzung einer Marke im Sinne der Richtlinie ein aktives Handeln und eine unmittelbare oder mittelbare Herrschaft über die Benutzungshandlung erfordere. Ein etwaiger wirtschaftlicher Vorteil durch die Eintragung führe nicht zu einer Benutzung. Entscheidend sei vielmehr das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Beziehung zum Betreiber der betreffenden Webseite. Ein Markeninhaber habe ansonsten die Möglichkeit, gegen den Betreiber vorzugehen, um die Eintragung entfernen zu lassen.
Im weiteren Verfahren stelle das OLG Düsseldorf dann fest, dass auf Grundlage der Entscheidung des EuGH kein Verstoß der beklagten Kanzlei gegen das Unterlassungsurteil vorlag. Auch das zwischenzeitliche Vorbringen der Klägerin, zwischen dem Verzeichnis „Das Örtliche“ und anderen Seiten bestünden Partnerschaften, half nicht weiter. Derartige Partnerschaften würden für eine mittelbaren Beziehung der Beklagten zu diesen Seiten nicht ausreichen. Die Klägerin habe auch nicht geltend gemacht, dass die Beklagte diese anderen Seiten durch die Eintragung in „Das Örtliche“ mitbeauftragt hätte.
Praxishinweis
Jedenfalls im Bereich des Markenrechts können die weitgehenden Handlungspflichten, die der BGH einem Unterlassungsschuldner auferlegt, nicht mehr bedenkenlos aufrechterhalten werden.
Insbesondere muss hier nach Abgabe einer Unterlassungerklärung oder nach Ergehen eines Unterlassungsurteils nicht Kontakt mit Branchenverzeichnissen oder Adressdatenbanken aufgenommen werden, um nicht veranlasste Einträge entfernen zu lassen. Gleiches muss konsequenterweise für andere Webseiten unabhängiger Dritter gelten. Auch die Veranlassung der Löschung von Seiten aus dem Google-Cache (oder dem Cache anderer Suchmaschinen) dürfte nicht mehr ohne weiteres notwendig sein.
Dies alles gilt freilich zumindest vorerst nur im Bereich des Markenrechts. Ob sich die Rechtsprechung auch in anderen Rechtsgebieten anpassen wird, ist abzuwarten. Allerdings erscheint unwahrscheinlich, dass sich der BGH dem EuGH auch in anderen Bereichen „beugen“ wird.