EuGH erlaubt das Verleihen von E-Books ohne Lizenz
Der Europäische Gerichtshof hat am 10. November 2016 entschieden, dass auch das Verleihen von E-Books unter den Anwendungsbereich der sog. Vermiet- und Verleih-Richtlinie (Richtlinie 2006/115/EG) fallen kann, zumindest wenn es sich um eine „One-copy-one-user“-Leihe (also die Möglichkeit ein erworbenes E-Book gleichzeitig an einen Bibliotheksnutzer auszuleihen) eines legal erworbenen E-Books handelt.
Was bedeutet das?
Grundsätzlich steht dem Urheber das ausschließliche Recht zu, die Vermietung oder Verleihung seines Werkes zu erlauben oder zu verbieten (Art. 1 der Richtlinie). Für das Verleihen von Werken können die Mitgliedstaaten allerdings zugunsten öffentlicher Bibliotheken eine Ausnahme von diesem ausschließlichen Recht vorsehen, wenn die Urheber eine Vergütung für das Verleihen erhalten (Art. 6 der Richtlinie). Im deutschen Recht ist diese Möglichkeit in § 27 Abs. 2 UrhG umgesetzt.
Bislang beziehen sich die Vorschriften zur Verleihung im deutschen Urheberrechtsgesetz nur auf körperliche Vervielfältigungsstücke (also hier das gedruckte Buch). Grund dafür ist der Erschöpfungsgrundsatz, wonach einmal mit Zustimmung des Urhebers in Verkehr gebrachte Werkstücke zustimmungsfrei weiterverbreitet werden dürfen. Dieser Grundsatz betrifft nur körperliche Werkstücke (§ 17 Abs. 2 UrhG). Dies führt in der Praxis dazu, dass das Verleihen von unkörperlichen Werkstücken (also E-Books) nur auf Basis einer vorher eingeholten Zustimmung, also eines Lizenzvertrages, zwischen dem Rechteinhaber und der Bibliothek möglich ist. In der Folge wurden und werden von Verlagen weitreichende Lizenzvereinbarungen für die Nutzung von E-Books in Bibliotheken geschlossen. Diese Vereinbarungen sehen teilweise eine gegenüber dem Ladenpreis höhere Vergütung für den Erwerb eines E-Books durch die Bibliothek vor oder beschränken die Nutzung des E-Books auf eine bestimmte Dauer (z. B. 2 Jahre).
Und jetzt?
Nach der Entscheidung des EuGH ist nun fraglich, ob es bei dieser Lizenzierungspraxis bleibt oder ob der deutsche Gesetzgeber eine Gesetzesänderung vornimmt, die auch das Verleihen von E-Books ohne Lizenz erlaubt.
Da die meisten Bibliotheken derzeit neben dem „One-copy-one-user“-Modell auch andere Modelle nutzen, z. B. sog. Multi-User-Licenses (d. h. die Möglichkeit des gleichzeitigen Zugriffs durch mehrere Nutzer), Short-Term-Loans (d. h. die Miete eines Werkes durch eine Bibliothek), Non-Linear-Lending (d. h. den Erwerb bestimmter Zugriffszahlen/Jahr) etc., ist davon auszugehen, dass die Verträge auch im Falle einer Gesetzesänderung weiterhin Bestand haben würden. Eventuell werden die Bibliotheken eine Gesetzesänderung jedoch zu Nachverhandlungen bezüglich der vereinbarten Konditionen nutzen.
Vor allem aber würde eine Gesetzesänderung Bibliotheken die Nutzung von E-Books eröffnen, bzgl. derer es bislang gar keine Lizenzverträge gab, z. B. weil der betreffende Verlag das Verleihen von E-Books grundsätzlich nicht unterstützt.
Die Rechtsprechung des EuGH bedeutet einen weiteren Rückschlag für die Verlage. Denn die Vergütung für das Verleihen durch öffentliche Einrichtungen erfolgt ausschließlich über Verwertungsgesellschaften. Mangels eines eigenen Rechts hatten EuGH (C-572/13) und BGH (I ZR 198/13) die VG-Ausschüttungen an Verlage aber für unzulässig erklärt.
Daneben waren die Rechte von Bibliotheken in Zusammenhang mit der Nutzung elektronischer Leseplätze im April 2015 gerade zu Lasten der Verlage ausgedehnt worden (EuGH C-117/13 und BGH I ZR 69/11).
Das Urteil des EuGH vom 10. November 2016 – C‑174/15 – VOB /Stichting Leenrecht ist im Volltext hier abrufbar.
Lesen Sie auch die Presseerklärung des Börsenvereins und die Presseerklärung des Bibliothekenverbandes.