Zwangsinverlagnahme bei TV-Produktionen

by on 12. September 2022

Die Produktion eigener TV-Serien und -Filme ist für öffentlich-rechtliche und private Rundfunkunternehmen tägliche Praxis. Hierfür beauftragen die Sender oder deren Produktionsgesellschaften regelmäßig Filmkomponisten mit der Herstellung der Serien- und Filmmusiken. Die Komponisten erhalten nicht nur eine Pauschalvergütung vom Sender oder dessen beauftragter Produktionsgesellschaft, sondern – im Fall der Mitgliedschaft – auch Tantiemen der GEMA aus jeder Sendung ihrer Musik in diesen Serien und Filmen. In der Praxis haben die Sender vermehrt erfolgreich den Versuch unternommen, an diesen GEMA-Tantiemen zu partizipieren. Sie haben Musikverlage gegründet, die sich von den Komponisten Verlagsrechte haben einräumen lassen. Dies berechtigt die Musikverlage, den Verlagsanteil an den GEMA-Tantiemen von der GEMA einzuziehen. Wird also die Musik des Komponisten in der Serie oder im Film genutzt, so erhält auch der vertraglich mit dem Komponisten verbundene Sender über seinen Musikverlag Anteile an den ursprünglich allein dem Komponisten zustehenden GEMA-Geldern. Der Komponist bekommt also eine um den Verlagsanteil reduzierte Ausschüttung von der GEMA. Kritiker sehen in dieser Praxis eine rechtswidrige Benachteiligung der Komponisten, wenn diese „faktisch“ nur im Fall paralleler Einräumung des Verlagsrechts den Auftrag für die Herstellung der Serien-/Filmmusik erhalten (sog. Zwangsinverlagnahme). Auch der BGH musste sich jüngst mit der Frage auseinandersetzen, ob eine solche Zwangsinverlagnahme rechtswidrig ist und zur Nichtigkeit des Verlagsvertrages führt (Urteil vom 21.04.2022, Az. I ZR 214/20). Er sieht die Zwangsinverlagnahme weniger kritisch.

Sachverhalt

Die Beklagte ist eine Tochtergesellschaft eines großen privaten Rundfunkunternehmens und betreibt unter anderem eine Musikverlagsgesellschaft. Sie beauftragte den Kläger mit der Herstellung von Musiken für zahlreiche TV-Serien und -Filme. In den hierüber geschlossenen Produktionsverträgen wurden insbesondere Pauschalzahlungen (insgesamt ca. 600.000 €), die Übertragung von Rechten an den Kompositionen und Produktionen sowie die Verpflichtung zum Abschluss eines branchenüblichen Verlagsvertrages, der insbesondere die Anwendung des GEMA-Verteilungsplans zum Gegenstand hatte, vereinbart. Da die TV-Serien sehr häufig wiederholt wurden, erhielt der Kläger hierfür bis 2017 GEMA-Ausschüttungen in Höhe von ca. 2,1 Mio. € und die Beklagte in Höhe von ca. 830.000 €. Der Kläger ist der Ansicht, dass die jeweils geschlossenen Verlagsverträge nichtig seien, da sie kartellrechtswidrig sind, gegen die guten Sitten verstoßen würden (§ 138 BGB) und unwirksame AGB enthielten. Er klagte auf Feststellung der Nichtigkeit.

Entscheidung

Sowohl der BGH als auch die Vorinstanzen wiesen die Klage vollumfänglich ab.

Ein Verstoß gegen das Kartellrecht (§§ 19, 20 GWB) scheiterte bereits an der unzureichenden Darlegung von Tatsachen. Der Kläger versäumte es, eine marktbeherrschende Stellung der Beklagten darzulegen, die sie gegenüber dem Kläger durch die Refinanzierung über die GEMA-Tantiemen ausgenutzt habe.

Auch hat der BGH Ansprüche nach § 138 BGB wegen Verletzung der guten Sitten verneint. Die Beklagte habe weder eine Zwangslage des Klägers ausgebeutet noch bestehe ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Auch die Verknüpfung zwischen den Produktionsverträgen und Verlagsverträgen verstoße nicht gegen § 138 BGB.

Zwar begründen auch schwere wirtschaftliche Nachteile eine Zwangslage. Nicht ausreichend ist aber, dass diese befürchtet werden, vielmehr müssen diese Nachteile bei Vertragsschluss gegenwärtig sein. Die Sorge des Klägers, dass er seine Musik nur dem Beklagten verkaufen könne und eine Auswertung über Dritte offen sei, reiche daher nicht.

Weiter fehle es an einem auffälligen Missverhältnis zwischen den Leistungen des Klägers und der Beklagten. Denn die an den Kläger gezahlte Pauschalzahlung sei auch für die Eingehung der Verlagsverträge geleistet und die Beklagte habe eine ausreichende verlegerische Leistung durch Einbringung der Musik in die TV-Serien und -Filme erbracht. Zukünftige Ereignisse wie die häufigen Wiederholungen der TV-Serien bezog der BGH nicht in seine Wertung ein. Für die Bemessung des auffälligen Missverhältnisses komme es auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an, nicht aber auf Ereignisse wie häufige TV-Wiederholungen in der Zukunft, wenn diese ungewiss sind.

Auch die konditionale Verknüpfung der Verträge sei nicht bedenklich, da die Beklagte ihren verlegerischen Pflichten aus dem Verlagsvertrag nachgekommen sei.

Letztlich lehnt das Gericht auch eine Unwirksamkeit der Verlagsverträge wegen Verstoßes gegen AGB-Recht ab (§ 307 BGB), da der Kläger lediglich Abreden über Leistungen (Einräumung Verlagsrecht, Verwertungspflichten und Beteiligung an GEMA-Tantiemen) moniert, die aber – anders als Beschränkungen bzw. Modifizierungen der Leistungspflicht – nicht einer AGB-Inhaltskontrolle zugänglich sind.

Auswirkungen für die Praxis

Das Urteil des BGH erledigt offene Themen in Zusammenhang mit der Zwangsinverlagnahme. Es lässt aber einige Fragen wie die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung offen. Erfreulich ist, dass der BGH die Verlagspflichten näher umreißt. Nicht zuletzt seit dem Kramm-Urteil des KG Berlins (Urteil vom 14.11.2016, Az. 24 U 96/14) wurde die Frage offen diskutiert, wann Verlage ihren (Auswertungs-)Pflichten nachkommen. Der BGH hat deutlich (zumindest in Zusammenhang mit § 138 BGB) erklärt, dass die Einbringung verlegter Musik in einen Film ausreiche. Der BGH erwähnt weiter neben dem Notendruck (§ 14 VerlG) die Werbung für die Aufnahme bzw. Vermittlung der Musik in Aufführungen, Sendungen und Tonträgerauswertungen. Die Erbringung derartiger Leistungen steht einem Verstoß gegen § 138 BGB grundsätzlich entgegen. Fraglich ist aber, ob eine im Rahmen einer Auftragsprodukten für die Herstellung der Komposition und Produktion geleistete Pauschalzahlung auch für die Einräumung des Verlagsrechts gewährt wird. Der BGH hat dies im Rahmen der Ablehnung des auffälligen Missverhältnisses nach § 138 BGB herangezogen. In der Praxis sind solche Pauschalzahlungen die Gegenleistung für die Herstellung der Komposition und Produktion der Filmmusik sowie die Einräumung von solchen Rechten, die nicht durch die GEMA oder GVL wahrgenommen werden. In von Filmproduktionen losgelösten Verlagsverträgen kommen solche Pauschalen nicht bzw. allenfalls sehr selten vor. Selbst wenn der Wortlaut des Produktionsvertrages den Verlagsvertrag in die Pauschalzahlung einbezieht, so ist zweifelhaft, ob die Vertragsparteien dies entgegen der Branchenüblichkeit so gewollt haben. Es lässt sich abschließend festhalten, dass die an der Zwangsinverlagnahme bislang geäußerte Kritik vom BGH nicht geteilt wird. Offen ist allerdings noch die Frage, ob eine Zwangsinverlagnahme aus kartellrechtlichen Gründen bedenklich sein kann.

Interessant ist noch ein Seitenblick. Die GEMA hat in § 7 Abs. 4 des eigenen Verteilungsplans festgehalten, dass die Verleger nur dann an GEMA-Einnahmen beteiligt werden, wenn diese bestätigen, dass bei – ab 1. Juli 2007 angemeldeten – TV-Auftragsproduktionen keine Zwangsinverlagnahme erfolgt ist. Es bleibt abzuwarten, wie § 7 Abs. 4 des Verteilungsplans im Lichte der zitierten Rechtsprechung des BGH zu behandeln sein wird. In diesem Rahmen könnte auch die Regelung des § 27 Abs. 1 VGG relevant werden, wonach ein willkürliches Vorgehen bei der Verteilung der GEMA-Gelder ausgeschlossen ist.

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