Corona-Hilfe: weiteres Maßnahmenpaket der Bundesregierung
In unseren vorangegangenen Blogbeiträgen hatten wir bereits über Maßnahmen zur Erhaltung und Unterstützung der Liquidität von Unternehmen berichtet. Die Bundesregierung hat nun ihren Fokus erweitert und einen Gesetzesentwurf für ein weiteres Maßnahmenpaket vorgelegt, mit dem sie den Bürgern und Unternehmen der Bundesrepublik Hilfestellung für die durch die COVID-19-Pandemie ausgelöste aktuelle Wirtschaftskrise leisten möchte. Der Katalog an geplanten Maßnahmen ist umfangreich, er umfasst für Verbraucher und Unternehmen folgende wesentlichen Themen:
- Dauerschuldverhältnisse
- Miet- und Pachtverträge
- Darlehensverträge
- Insolvenzrecht
- Gesellschaftsrecht
1. „Moratorium für wesentliche Dauerschuldverhältnisse“
Verbraucher sowie Kleinstunternehmen, die durch die aktuelle Krise in Notlage geraten, sollen für „wesentliche Dauerschuldverhältnisse“ ein Leistungsverweigerungsrecht erhalten. Damit sind solche Dauerschuldverhältnisse gemeint, die zur „angemessenen Daseinsvorsorge“ erforderlich sind. Darunter ist nach der Begründung des Entwurfes insbesondere die Grundversorgung mit zum Beispiel Strom, Gas, Telekommunikation und Wasser zu verstehen, aber auch Pflichtversicherungen.
Das Leistungsverweigerungsrecht soll für alle Dauerschuldverhältnisse gelten, die vor dem 8. März 2020 abgeschlossen wurden. Es soll nach aktuellem Stand bis zum 30. Juni 2020 wirksam sein, ist nicht abdingbar und findet seine Grenze in der Zumutbarkeit für den Gläubiger. Dessen wirtschaftliche Grundlage soll ihrerseits nicht durch die Verweigerung der Leistung des Schuldners gefährdet werden.
Das Leistungsverweigerungsrecht ist rechtlich als Einrede ausgestaltet und muss entsprechend durch den Schuldner bei Inanspruchnahme geltend gemacht werden. Entsprechend dem Charakter des Rechtsinstituts der Einrede verliert der Gläubiger seine Ansprüche durch ihre Geltendmachung nicht. Jedoch ist seine Forderung für die Dauer des Bestehens der Einrede nicht durchsetzbar, also nach aktuellem Stand bis zum 30. Juni 2020. Ebenso verhindert die Geltendmachung der Einrede des Leistungsverweigerungsrechts die Entstehung von Sekundäransprüchen, wie zum Beispiel von Verzugszinsen.
2. „Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverträgen“
Das Mietrecht sieht Kündigungsregeln vor, die an den Zahlungsverzug der Mieter gekoppelt sind: leistet ein Mieter die fällige Miete für einen Betrag von insgesamt zwei Monatsmieten nicht fristgerecht, stellt dies gemäß § 543 BGB einen wichtigen Grund dar, der den Vermieter zu einer fristlosen außerordentlichen Kündigung ermächtigt. Ebenso begründet bei Wohnraummieten die Nichtleistung des Mietzinses in solcher Höhe ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses und ermöglicht ihm so die Kündigung, § 573 BGB.
Beide Regelungen will die Bundesregierung mit ihrem Entwurf zeitweise außer Kraft setzen. Sofern die Nichtleistung der Mietzahlungen eine Auswirkung der durch die COVID-19-Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise ist und der Mieter diese Kausalität glaubhaft machen kann, stellt sein Zahlungsverzug im Zeitraum vom 01. April bis 30. Juni 2020 keinen Kündigungsgrund dar.
Festzuhalten ist, dass der Anspruch des Vermieters auf den Erhalt des Mietzinses nicht entfällt. Der Mieter muss gleichwohl seine vertraglichen Leistungen erfüllen, lediglich die Sanktionsmöglichkeit der Kündigung entfällt für den genannten Zeitraum. Er wird also nach Ablauf der genannten Frist den aktuellen Mietzins ebenso wie aufgelaufene Rückstände begleichen müssen.
Die geplanten Regelungen sollen auch für Pachtverträge gelten und sind nicht abdingbar. Beachtlich ist, dass – anders als bei den Regelungen zu wesentlichen Dauerschuldverhältnissen – die finanzielle Belastbarkeit von Gläubigern nicht in Form einer Zumutbarkeitsgrenze berücksichtigt wird. Gleichwohl spricht die Gesetzesbegründung insofern ausdrücklich von einer „ausgewogenen“ Regelung und verweist Vermieter für „besonders gelagerte Einzelfälle“ auf einen möglichen „Rückgriff auf Treu und Glauben“.
3. „Regelungen zum Darlehensrecht“
Ähnlich den vorgenannten Regelungen zu wesentlichen Dauerschuldverhältnissen und zum Mietrecht sollen aufgrund der COVID-19-Pandemie in Zahlungsschwierigkeiten geratene Verbraucher die Möglichkeit haben, ihre Zahlungsverpflichtungen aus Darlehensverträgen ohne Konsequenzen vorläufig einzustellen.
Für vor dem 15. März 2020 abgeschlossene Verbraucherdarlehensverträge müssen dem Gesetzesentwurf zufolge zwischen dem 1. April und 30. Juni 2020 fällige Rückzahlungen, Zinsen oder Tilgungen nicht geleistet werden. Damit erlöschen die Ansprüche des Darlehensgebers jedoch nicht, allein ihre Fälligkeit wird gestundet.
Die Regelungen sind abdingbar, die Vertragsparteien können mithin einvernehmliche Regelungen zu den Modalitäten der weiteren Rückzahlung des Darlehens treffen. Regelungen zu Lasten des Verbrauchers sollen dabei mit einer Zweifelsregelung verhindert werden. Kommt es nicht zu einer Einigung zwischen den Vertragsparteien, gilt im Zweifel folgende Regel: Um zu vermeiden, dass nach dem 30. Juni 2020 die zuvor gestundeten Beträge gebündelt fällig werden, verlängert sich automatisch die Laufzeit des Darlehensvertrages in entsprechendem Umfang. Leistet ein Schuldner also nach der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Regelung drei Monate lang nicht, verlängert sich im Zweifel die Vertragslaufzeit des Darlehensvertrages ebenfalls um drei Monate.
4. „Insolvenzaussetzung“
Das Insolvenzrecht enthält strenge Regeln und feste Fristen für die Stellung von Insolvenzanträgen. Ihre Einhaltung ist insbesondere für Geschäftsleiter straf- und haftungsbewehrt. Ebenfalls haben die geltenden starren Regeln Konsequenzen für Geschäftsplanung, Sanierungsmöglichkeiten sowie die potentielle Anfechtbarkeit von im Rechtsverkehr vorgenommenen Handlungen.
Um der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Lage gerecht zu werden, will die Bundesregierung diese Regeln lockern und so die Fortführung von in finanzielle Notlage geratenen Unternehmen erleichtern. Hierzu soll die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrages bis zum 30. September 2020 vollständig ausgesetzt werden. Dies gilt jedoch nur für solche Unternehmen, die durch die COVID-19-Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise unverschuldet insolvenzreif geworden sind und für die eine Aussicht besteht, die Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen.
5. Gesellschaftsrechtliche Regelungen
Juristische Personen sind darauf angewiesen, handlungsfähig zu sein: Ihre Organe müssen Beschlüsse fassen können. Je nach der ihr gegebenen Rechtsform existieren für juristische Personen unterschiedlichste Form- und Verfahrensvorschriften, deren Einhaltung für die Wirksamkeit von Rechtshandlungen ihrer Organe erforderlich sind. Diese Form- und Verfahrensvorschriften können in der aktuellen Situation vielfach nicht eingehalten werden. So liegt es auf der Hand, dass zum Beispiel Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften als Präsenzveranstaltungen aufgrund der geltenden Kontaktverbote aktuell nicht durchgeführt werden können. Dies kann umso mehr ein Problem für juristische Personen darstellen, je dringender der Handlungsbedarf für den sachgerechten, unternehmenserhaltenden Umgang mit der durch die COVID-19 Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise ist.
Daher plant die Bundesregierung eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen, um die Handlungsfähigkeit von juristischen Personen sicherzustellen. Sie betreffen unter anderem Vereine, Stiftungen, Genossenschaften, Wohneigentümergemeinschaften, GmbHs und Aktiengesellschaften. Die Fülle an spezifischen Maßnahmen macht es schwer, diese in der für diesen Beitrag gebotenen Kürze zusammenzufassen. Den für die Organe der juristischen Personen Handelnden ist daher zu empfehlen, bei Bedarf für die jeweils konkrete Situation passgenauen Rechtsrat einzuholen.
6. Ausblick
Allen genannten Maßnahmen ist gemein, dass sie ohne weiteren gesetzgeberischen Aufwand verlängert werden können. Der Entwurf der Bundesregierung sieht Ermächtigungsgrundlagen vor, die es ermöglichen, die rechtlichen Wirkungen durch Verordnung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz zu verlängern. Für jeden oben genannten Bereich können die beschriebenen Maßnahmen einzeln verlängert werden, namentlich bis längstens 30. September 2020 (Dauerschuldverhältnisse, Mietverträge und Darlehensverträge) beziehungsweise 31. März 2021 (Insolvenzaussetzung) oder 31. Dezember 2021 (Gesellschaftsrechtliche Regelungen).
Ob der Entwurf der Bundesregierung in der am 23. März veröffentlichen Form Gesetzeskraft erhält, ist abzuwarten. Geplant ist, ihn noch in der 13. Kalenderwoche 2020 in Bundestag und Bundesrat einzubringen und schnell auszufertigen.