UPDATE: Großer Ärger um das Große Recht
Der Bundesgerichtshof hat erstmals eine Entscheidung zur Thematik des Großen Rechts im Sprechtheater getroffen und ein vielbeachtetes Urteil aus Düsseldorf aufgehoben. Damit ist das letzte Wort in dieser schwierigen rechtlichen Abgrenzungsfrage im Musik- und Bühnenrecht jedoch noch lange nicht gesprochen. Was ist passiert?
Die Vorgeschichte
Im Jahr 2019 hatte ein Bühnenkomponist einen gerichtlichen Erfolg gegen das Düsseldorfer Schauspielhaus errungen (unseren damaligen Blogbeitrag mit weiteren Hintergrunderläuterungen zu Großem und Kleinem Recht finden Sie hier). Das Landgericht Düsseldorf ordnete seine speziell für eine Bühneninszenierung des Dostojewski-Romans „Der Idiot“ komponierte Musik dem Recht der bühnenmäßigen Aufführung, d.h. dem sog. Großen Recht zu. Das Theater, das die Rechte für die Musikaufführung lediglich über die GEMA geklärt hatte, die aber nur über das Kleine Recht – das Recht der nicht-bühnenmäßigen Aufführung verfügt – hatte nach Einschätzung des Landgerichts die Lizenz von der falschen Seite eingeholt. Damit war die Musikaufführung unlizenziert und das Theater beging eine Urheberrechtsverletzung. Diese Einschätzung bestätigte ebenfalls das Oberlandesgericht Düsseldorf (die Entscheidung finden Sie hier). Das Urteil aus Düsseldorf wurde nun jedoch vom Bundesgerichtshof einkassiert und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Hier geht es zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs.
Die Entscheidung
Der Bundesgerichtshof bemängelte im Revisionsverfahren verschiedene rechtliche Fehler des Oberlandesgerichts. Dieses stellte zentral darauf ab, dass die Musik speziell für die Inszenierung komponiert sei. Die Abstimmung auf das Bühnenstück und der Charakter als Auftragskomposition für sich genommen reichen jedoch nicht aus, da auch die bloße klangliche Untermalung der Abstimmung bedarf und Gegenstand eines Kompositionsauftrags sein könne. Erforderlich nach dem Bundesgerichtshof ist – und dieses Kriterium ist neu – ein enger innerer Zusammenhang zwischen Musik und Spielgeschehen, welche vom Tatgericht im Einzelfall festgestellt werden muss. Genau dies hatte das OLG jedoch nicht getan, sondern sich eher auf allgemeinere Ausführungen beschränkt („Musik setze einzelne Handlungsabschnitte ‚in Szene‘, illustriere und verstärke Emotionen, baue Spannungen auf, kündige dramatische Wendungen an“). Der Bundesgerichtshof fordert hier also vom Tatgericht eine genaue Analyse der Verwendung der Musik im dramatischen Spielgeschehen, um so das Vorliegen oder Fehlen des engen inneren Zusammenhanges herauszuarbeiten.
Ebenso reiche es für sich genommen nicht aus, ob die Musik aufgrund ihrer Ausgestaltung nicht allein, also ohne die schauspielerische Darstellung der einzelnen Szenen, sinnvoll verwendbar wäre. Auch dies könne in gleicher Weise für die bloße klangliche Untermalung eines Spielgeschehens gelten.
Schließlich stellte der BGH richtig, dass es sich bei der Musik zu „Der Idiot“ nicht um ein dramatisch-musikalisches Werk handele, wie das OLG angenommen hatte. Ein dramatisch-musikalisches Werk im Sinne des GEMA-Berechtigungsvertrages ist die Verbindung von Musikwerken mit Sprachwerken oder mit pantomimischen oder choreografischen Werken, bei denen – wie im Falle von Opern, Musicals oder Handlungsballetten – die Musik integrierender Bestandteil und gleichberechtigter Faktor ist. Eine Gleichberechtigung könne jedoch bei einer Musiklänge von ca. 30 Minuten im Verhältnis zu einer Stücklänge von 2 Stunden und 30 Minuten nicht angenommen werden. Stattdessen handele es sich um Bühnenmusik, weil sie als Schauspielmusik im Sprechtheater erklingt.
Auch bei Bühnenmusik könne jedoch Großes Recht vorliegen, sofern die Musik integrierender, organischer Bestandteil des Spielgeschehens ist und der geforderte enge, innere Zusammenhang zwischen Musik und Spielgeschehen vorliege. Dies genau festzustellen, ist nun erneut Aufgabe des OLG Düsseldorf, an welches der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde.
Lehren für die Praxis
Der BGH führt mit diesem Revisionsurteil die bestehende Rechtsprechung zum Großen Recht – v.a. der Musical Starlights Entscheidung – fort und bezieht sie auf die Verwendung von Musik im Sprechtheater. Auch das neu eingeführte Kriterium eines engen inneren Zusammenhangs zwischen Musik und Spielgeschehen verbleibt jedoch einigermaßen im Ungefähren. Es steht zu hoffen, dass der weitere Verfahrensverlauf neue Erkenntnisse zum Kriterienkatalog bei der schwierigen Abgrenzung zwischen Großem und Kleinem Recht im Sprechtheater bringt.
Eins ist jedoch nach dieser Entscheidung sehr klar: auch Bühnenmusik – also Musikeinsatz im Sprechtheater – kann dem Großen Recht zugeordnet sein. Eine pauschale Lizenzierung und Abrechnung sämtlicher Bühnenmusik über die GEMA, kann nicht aufrechterhalten werden und birgt die Gefahr von Abmahnungen und Klagen seitens Bühnenkomponist:innen bzw. deren Musikverlagen. Erforderlich ist stets eine Einzelfallprüfung. In Zweifelsfällen sollten Theater Rechtsrat einholen.